in fußballland : Fahrstuhllyrik und Dada
CHRISTOPH BIERMANN hat sich in den Stadien der Republik umgehört und seine persönlichen Top Ten der Fankurvengesänge zusammengestellt
Der bekannte 1.-FC-Köln-Ethnologe und Buchautor Manuel Andrack brachte kürzlich von einer Expedition nach Jena einen interessanten Gesang mit, den er dort anderen mitgereisten Fans abgelauscht hatte. Ja, er hörte ihn nicht nur, sondern sah auch noch dessen Aufführung. Denn die Sänger hielten eine weiße Unterhose hoch, auf die hinten ein Stück brauner Stoff und vorne ein Stück gelber genäht worden war. Dazu sangen sie so begeistert wie unablässig: „Ein Leben lang, dieselbe Unterhose an.“
Eine Erklärung für diesen Unsinn fand er nicht, aber diese rätselhafte Feier des Analen soll hier jedoch weder freudianisch noch anderswie psychologisch ausgedeutet werden, sondern vielmehr als Vorwand gelten, auf den Mangel an seltsamen bis komischen Sprechchören in Fußballstadien hinzuweisen. Denn wohin auch immer man seine Schritte lenkt, hört man die gleichen Gesänge und Schlachtrufe, nur die Vereinsnamen sind andere. Das ist langweilig, doch soll nicht kulturpessimistisch herumgemault werden, sondern ich möchte als Anregung zu gesteigerten Anstrengungen meine aktuellen Top Ten skurriler, eigenartiger und kreativer Fan-Gesänge vorstellen.
10. Ein Musterbeispiel für die ironische Wendung von Stigmatisierung ist auf den Rängen des sogenannten „Pillenklubs“ Bayern Leverkusen zu hören: „Wir schlafen nicht auf Betten, wir schlafen nicht im Stroh, wir schlafen auf Tabletten, das ist bei Bayer so.“
9. Ebenfalls sehr elegant ist der Umgang mit dem gleichen Problem beim FC St. Pauli, deren Fans oft als linke Zecken geschmäht werden: „Auf geht’s Zecken schnorrt ein Tor.“
8. Überhaupt nicht selbstironisch und zudem schwach gereimt, aber unfreiwillig komisch ist dieser Schlachtruf bei Schweinfurt 05: „Schweinfurt am Main, dreckig und gemein.“
7. Schon lange wissen wir, dass die Idee der Region im Fußball sehr beliebt ist, wenn Abstiege angeblich schlecht oder Meisterschaften ganz toll für eine Region sind, aber dass in Erfurt ein Drei-Städte-Eck der Gewalt gefeiert wird, ist schon ziemlich verblüffend: „Erfurt, Leipzig, Halle – Fußballkrawalle.“
6. Das Genre der Fahrstuhllyrik hat dort ein besonderes Qualitätsniveau erreicht, wo man zuletzt besonders begeistert die Ligen wechselte. In Bochum hieß es: „Wir steigen auf, wir steigen ab und zwischendurch Uefa-Cup.“ In Köln wurde zur Melodie der Polonaise Blankenese gesungen: „Erst steigen wir ab, dann steigen wir wieder ab, dann steigen wir wieder auf, dann steigen wir wieder auf. Das finden wir lustig, weil wir bescheuert sind.“
5. Kreativ sein kann man auch in der fünften Liga, wie die Fans von Mosella Niederemmel, die sich als lustige Provinzler auch noch „N-Town Ultras“ nennen, mit rätselhaften und leicht dadaistischen Gesang bewiesen haben, bei dem die jeweils zweite Silbe zu betonen ist: „Hallo, hallo, hallo, hallo, bitte!“
4. „Love will tear us apart“ von Joy Division ist das wahrscheinlich traurigste Stück der Popgeschichte. Daraus eine Huldigung für Manchester Uniteds Ryan Giggs zu machen, darauf muss man erst einmal kommen: „Giggs will tear you apart.“
3. Wenn an der Hafenstraße im Essener Norden ein paar tausend Fans der Rot-Weißen ihr Heimatidiom feiern, ist das beeindruckend und zugleich richtig komisch: „Ja wat denn, ja wat denn!?“
2. Eine schöne Adaption des Klassikers von John Denver und eine elegante Umsetzung des beliebten Heimatmotivs kommt vom Main: „Country Roads take me home, to a place I belong! Offenbach-Bieber, meine Heimat. Bieberer Weg, OFC!“
1. Im Rhythmus des omnipräsenten Schlachtrufs „Alles außer XY ist scheiße“ trugen Anhänger des SC Rot-Weiß Oberhausen eine Frage vor, die sich Wochenende für Wochenende tausende Fans stellen: „Warum sind die Ordner so hässlich?“