in fußballland : Je ferner, desto unduldsamer
CHRISTOPH BIERMANN über die merkwürdige Vernarrtheit der Journalisten in den FC Schalke 04
Ein innerhalb der Anhängerschar des FC Schalke 04 immer wieder diskutierter Umstand ist die weitgehende Abwesenheit von berühmten Fans. Wären da nicht der Schauspieler Peter Lohmeyer und die neulich zur königsblauen Gemeinde hinzugestoßene Charlotte Roche, die ihren Lebensgefährten so liebevoll wie beharrlich „Schalke-Mann“ nennt, gäbe es niemanden halbwegs Bekannten auf den Rängen der Arena, während ein vergleichsweise kleiner Klub wie der FC St. Pauli das ganze Promi-Spektrum zwischen Reinhold Beckmann und „Die Ärzte“ abdeckt. Wer nun aber glaubt, dass der Klub aus Gelsenkirchen mit seinen anonymen Anhängern weitgehend allein ist, der hat sich getäuscht, denn Schalke ist der bei deutschen Sportjournalisten populärste Klubs.
Diese Behauptung ist selbstverständlich durch keinerlei empirische Daten zu untermauern, aber gerne möchte ich auf meine langjährige Erfahrung auf den Pressetribünen des Landes verweisen. Da wird gerne getuschelt, dass der Kollege soundso in Wirklichkeit Fan von Eintracht Braunschweig, Gladbacher oder eben Schalker sei. Zudem hat mir der ein oder andere seine Vorliebe vielleicht auch deshalb gesteckt, weil ich meine Sympathien für den VfL Bochum nie verborgen habe. Die Konfessionen mir gegenüber fielen vielleicht auch deshalb leichter, weil ich aus der Ansicht nie einen Hehl gemacht habe, dass es keinesfalls gegen das Gebot der Objektivität verstößt, mit heißem Herzen von den Spielen seines Teams zu berichten, ob es nun Offenbacher Kickers heißt, Hertha BSC oder eben Schalke 04. Ganz im Gegenteil: Echte Begeisterung hilft eher, als sie stört.
Das war jedenfalls lange meine feste Überzeugung, aber vielleicht muss man sie angesichts von Schalke 04 noch einmal überdenken. Bevor jedoch diese Frage erörtert werden soll, muss vielleicht erst einmal geklärt werden, warum unter Sportjournalisten gerade Schalke so überdurchschnittlich populär ist, schließlich rekrutiert sich der Berufsstand nicht aus anderen Bereichen als das übrige Publikum. Kein Wunder, dass es viele Journalisten gibt, die Schalke-Fans sind, aber warum sind es mehr als beim FC Bayern? Vielleicht hat es mit jener dem Klub innewohnenden Neigung zum Drama zu tun, die allen in erzählenden Berufen gut gefällt. Oder geht es um eine Neigung zum Leiden, die ein Fußballreporter sowieso mitbringen sollte? (Man bedenke nur, wie viel Zeit er darauf verwendet, auf die Auskünfte von jungen Menschen mit bemerkenswertem Bewegungstalent und nicht annähernd so ausgeprägtem Talent zur Reflexion zu warten.) Schalke ist vor allem ein Klub des Leidens, der sich gerne den Schmerz selbst zufügt, wenn alles schön sein könnte. Im Moment etwa, wo der Klub endlich einmal Tabellenführer ist, aber seine Spieler im Sprechstreik sind und eine stinkmorchelartige Wolke schlechter Laune die Arena mit dem Schieberasen umhüllt.
Das hat auch mit dem oben genannten Phänomen der Popularität unter den Berichterstattern zu tun. Diese gehen mit dem Gegenstand ihrer Zuneigung nämlich stets besonders streng um, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Zu Spielern und Trainern an der Castroper Straße in Bochum bin ich oft weniger nachsichtig gewesen, als ich es anderswo gewesen wäre. Das passiert zumeist unbewusst, wenn Enttäuschungen stärker wirken und man sich zugleich seine Unabhängigkeit beweisen will.
Wenn aber deutlichere Worte und strengere Urteile nicht nur von Einzelnen gefällt werden, sondern von königsblauen Glaubensbrüdern in größerer Zahl, entsteht schnell mal ein Gesamtbild, dessen Farben die von dunkler Skepsis sind. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Gläubigen in der Diaspora, die in ihren Überzeugungen bekanntlich besonders extrem sind. So fallen die Urteile der Diaspora-Schalker in Berlin, Hamburg oder München zumeist noch unduldsamer und härter aus als jene in der Nähe von Gelsenkirchen. Für Schalke ist all das der Preis der Liebe, doch bedauern muss man dort niemanden, denn traurig ist es nur, wo dieser Preis nicht gezahlt werden muss. Weshalb sich jene Klubs, über die weitgehend fair und maßvoll berichtet wird, grämen müssen. Da tröstet auch kein Promi auf der Tribüne.
Fotohinweis: Christoph Biermann, 45, liebt Fußball und schreibt darüber