piwik no script img

in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN lässt Hans Meyer plaudern

WO IST MARKUS REHMER?

Man sollte dieses Duzen nicht persönlich nehmen, wenn Hans Meyer einen mit seinen großen, kräftigen Händen anschubst und sagt: „Ich will dir jetzt mal eine Geschichte erzählen.“ Das hat er sich während seiner Zeit in Holland angewöhnt, und so spricht er seitdem eigentlich jeden an, außer er will ganz förmlich sein. Aber das will er gerade nicht im verlassenen Presseraum am Bökelbergstadion, in den Meyer im Trainingsanzug und in Plastiklatschen gekommen ist, weshalb er wie ein Hausmeister nach Dienstschluss wirkt. Der Rekorder ist längst ausgestellt und alles gesagt, was es über Borussia Mönchengladbach zu sagen gibt; jetzt plaudert der Mann mit der Neigung zu schwarzem Humor noch ein wenig über die Nationalmannschaft.

Hans Meyer ist 57 Jahre alt und betreut seit fast drei Jahrzehnten Fußballmannschaften. In einem Land, das es nicht mehr gibt, war er ein großer Trainer. Irgendwann sagt er, dass sie keine Geschichte mehr haben, die Leute aus diesem Land. Seine Pokalsiege und Vizemeisterschaften mit dem kleinen FC Carl-Zeiss aus Jena haben sich verflüchtigt. Genau wie der Tag, an dem er mit ihnen im Finale des Europapokals der Cupsieger stand. Aber über das Verschwinden dieser Historie will er nicht reden, weil es ihn nicht interessiert, sagt er.

Er will vielmehr die Geschichte von Marko Rehmer erzählen, diesem überaus schnellen und geschickten Verteidiger von Hertha BSC, den ich als engagierter Hobby-Bundestrainer gerade für die Nationalmannschaft vorgeschlagen habe. Meyer schüttelt den Kopf. „Das ist so eine Geschichte, wie ihr sie immer in der Silvester-Ausgabe eurer Zeitungen habt“, sagt er und legt sich zurück. Damals, schon nach der Wende, betreute er die Mannschaft von Union Berlin. Zwei Spiele waren in der Regionalliga Nordost noch zu absolvieren, und in der vorletzten Partie der Saison bei Rot-Weiß Erfurt musste Union unbedingt gewinnen, um Jena am letzten Spieltag noch abzufangen, dadurch Meister zu werden und in die 2. Liga aufsteigen zu können.

„Am Samstagmorgen um neun Uhr saßen wir im Mannschaftsbus und wollten losfahren, als einer merkte, dass der Markus Rehmer fehlt.“ Hans Meyer ist ein guter Geschichtenerzähler, und vielleicht ist es daher ein kleiner Kniff, eine kleine Gemeinheit, dass er Rehmer stets „Markus“ statt „Marko“ nennt. Sie sitzen also in ihrem Mannschaftsbus und warten zwei Minuten, vier Minuten auf ihren Verteidiger. „Nach fünf Minuten haben wir zu telefonieren angefangen, aber der Markus war nicht zu erreichen.“ Da sehen sie aber schon, wie aus der hinteren Ecke des Stadions wild gestikulierend der Platzwart angelaufen kommt. „Herr Meyer, der Rehmer hat gerade angerufen und lässt sich entschuldigen“, sagt der. „Er kann heute nicht mitspielen, der Hund seiner Freundin ist weggelaufen.“

Weil Hans Meyer ein wirklich guter Geschichtenerzähler ist, guckt er ganz ernst, während ich laut lospruste, und erklärt dann genüsslich, wie gerne er selbst Hunde mag. Am Tag, als Marko Rehmer den Hund seiner Freundin sucht, spielt Union in Erfurt null zu null und verpasst die Chance auf den Aufstieg. „Aber wahrscheinlich hätten wir mit Rehmer auch nicht gewonnen“, sagt Meyer.

Als Meyer abends wieder zu Hause ist, klingelt bei ihm das Telefon und Hundesucher Rehmer ist am Apparat. „Trainer, zwei Dinge. Erst mal das Wichtigste: Der Hund ist wieder da. Und dann wollte ich mich bei Ihnen noch dafür bedanken, dass Sie so viel Verständnis gezeigt haben.“ Hans Meyer sagt nichts und legt auf.

Jahre später sitzt er vorm Fernseher und schaut sich ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft an. Marko Rehmer ist zum ersten Mal dabei. Meyer macht seine Frau darauf aufmerksam, und sie erinnert sich sofort: „Ach, der Hunde-Rehmer.“ So wird es mir von nun an auch gehen. Ich werde Marko Rehmer nie mehr Fußballspielen sehen können, ohne gleich „Hunde-Rehmer“ zu denken. Und an den Geschichtenerzähler mit der verlorenen Geschichte.

Hinweis:

Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen