in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über den Reviersport
Linker Tutas für Hochprozentiges
Was ist das für ein Tag, an dem man aufwacht und im Kopf sofort Wolfgang Petry hört? „Ihr seid das Ruhrgebiet, die Droge, die uns süchtig macht“, singt der Mann, den alle Schlagergott nennen und der es auch ist. Petry kommt zwar aus Köln, weil er aber so unglaublich fest mit beiden Beinen auf dem Boden steht, hat er diese Hymne ans Revier geschrieben und eines seiner größten Konzerte im Gelsenkirchener Parkstadion gegeben, das ich mir mit gruslig schaudernder Begeisterung einen Samstagabend lang im Ersten Fernsehprogramm angeschaut habe.
Wolfgang Petry ist so prima wie das Ruhrgebiet, und deshalb muss hier endlich einmal der Reviersport gepriesen werden. Seit Jahren bin ich treuer Abonnent dieser regionalen Sportzeitung, die natürlich vor allem eine Fußballzeitung ist und mich erfahren lässt, ob beim MSV Duisburg ein Sack Reis umgefallen ist, was kein Scherz auf Kosten von Pierre Littbarski gewesen sein soll. Wer auch noch wissen will – und ich will! –, was bei Wattenscheid 09 oder Westfalia Herne los ist, kommt am Reviersport sowieso nicht vorbei.
Angesichts einer Berichterstattung, die selbstverständlich mit beiden Beinen auf dem Boden steht, ist es jedoch umso erstaunlicher, dass sich dort eine in Deutschland einzigartige Überschriftenkultur entwickelt hat. Die aber nicht mit der des kicker zu verwechseln ist, wo mit kindlicher Freude Namenswitze gemacht werden, die nur manchmal ins Geheimnisvolle überlappen, wenn etwa über einen erfolgreichen Torschützen geschrieben wird: „Feinbier machte seinem Namen alle Ehre.“ Doch das ist nichts im Vergleich zu den Headlines im Reviersport, die nachgerade Mysterienspiele zu betiteln scheinen. Zumindest braucht man langjährige Lektüre oder Erfahrungen beim Lösen des Zeit-Rätsels, um aus den Überschriften zu schließen, worum es im darunter stehenden Text gehen könnte. „Nach Böhmes Weck-Giebel-Knaller folgte ein meisterlicher Dreier“ will etwa sagen, dass der Spieler einen Ball in den Winkel des gegnerischen Tores schoss, dadurch seine zuvor müde spielende Mannschaft aufweckte, die sich zu einem Sieg aufschwang, der eines Deutschen Meisters würdig ist.
Verdichtung ist alles, gerade am Ende einer Saison. „Rettungs-Ufer wieder weg“, heißt es nach einer Niederlage von Rot-Weiß Essen, die also das so genannte rettende Ufer noch nicht erreicht haben und sich weiterhin vor dem Abstieg ängstigen müssen. Andernorts ist die Lage noch komplizierter: „Sportlich ‚Fallschirm‘ gezogen! Dienstag droht Bürgschafts-Sarg“. Die sportliche Rettung vor dem Abstieg steht dort zwar fest, aber der Verband fordert für die kommende Saison eine Bürgschaft, die bislang noch nicht gesichert ist, sodass die Hoffnung der tapferen Fallschirmspringer bald beerdigt sein könnte.
„Zebras holen Grasfresser“ ist vielleicht die schlichteste und schönste Headline der letzten Monate. Sie will uns sagen, dass der Zebras genannte MSV Duisburg fleißige und engagierte Spieler verpflichtet hat. „Schuhe mit Aufstieg an den Nagel hängen“ will hingegen ein Oberligaspieler, aber sich dabei nicht verheddern, sondern vor dem Ende seiner Karriere noch einmal aufsteigen. Die Vertragsverhandlungen eines Argentiniers in Schalke werden nach dem geheimnisvollen Weg durch seltsame Reviersport-Windungen zu: „Südamerikaner noch als ‚Touri‘ – Signatur morgen?“
Das absolute Meisterwerk aus der Überschriften-Schmiede in Essen beschäftigt sich mit dem örtlichen Fußballklub Rot-Weiß: „Pleß – dann auch Baich, Fischer! Linker Tutas für Hochprozentiges“. Ein Kunstwerk von irisierender Schönheit, das bis ins letzte Detail durchgefeilt ist. Man ahnt bestenfalls, dass es erneut um die Personalpolitik geht, aber sonst liegt alles im Dunkeln. Also: Neuer Trainer wird ein Herr namens Pleß, weshalb er von den möglichen neuen Spielern durch einen Gedankenstrich abgetrennt und schließlich mit einem Ausrufezeichen versehen ist. Der Linke Tutas ist das übrigens nicht politisch, sondern auf der Außenbahn des Spielfeldes und glücklicherweise auch kein Alkoholiker, sondern hat seinen gelernten Beruf als Destillateur wieder aufgenommen.
Puh, beim Reviersport würden sie bestimmt auch die Bibel in einer Überschrift zusammenfassen. „Hölle, Hölle“, würde Wolfgang Petry dazu dröhnen, so wie in seinem größten Hit „Wahnsinn“. Aber vielleicht sollte der Schlagergott mal über den Reviersport singen. Die Droge, die uns glücklich macht.
Fotohinweis: Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.
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