hörhilfe: Diesen Worttonträger gibt es in jedem guten Schallplattengeschäft: Charles Bukowskis Live-Lesung „Poems and Insults“
EXPLIZITE LYRIK
„Es war einmal ein Dichter namens Dylan Thomas. Er wurde von seinem Publikum kaputtgemacht. Also setzt euch gefälligst auf eure Ärsche, damit ich euch kaputtmachen kann.“ (Charles Bukowski, am 14. September 1973 bei einer Lesung in San Francisco)
Sie wissen natürlich, wer Charles Bukowski ist. Dazu also später. Erst mal zur Wortkomm, der „Worttonträger-Messe“. In den letzten beiden Jahren fand sie im Rahmen der Popkomm – der Kölner Messe für Musik und Entertainment – statt. Einige Hörbuchverlage waren da, und es gab ein paar Diskussions- und Informationsveranstaltungen. Aber leider interessiert man sich in Köln nur für Popmusik. Die Wortkomm war ein Reinfall.
Die Initiatoren kamen daraufhin zunächst auf die Idee, die Hörbuch-Messe aus der Popkomm auszugliedern und zu einer „eigenständigen Kongress- und Eventveranstaltung mit Gala“ zu machen. Diese Idee – eigenverantwortlich, auf höherem Niveau und mit mehr Glamour zu scheitern – wurde inzwischen verworfen, die Wortkomm findet in diesem Jahr gar nicht statt: „Ausrichtung und Positionierung“ sollen neu überdacht werden.
Ausrichtung und Positionierung des Hörbuchmarktes sind natürlich längst entschieden: Audiobooks stehen in Buchläden und nicht in Plattenläden, die Messestandorte sind Frankfurt und Leipzig – nicht Köln. Das hat etwas damit zu tun, dass die Hörbücher, die sich gut verkaufen, meist einfach vorgelesene Spitzentitel aus den Verlagsprogrammen sind, die inzwischen meistens auch schon parallel zur Printversion auf den Markt kommen.
Es gibt allerdings Ausnahmen. Gerade ist eine CD mit einer Lesung von Charles Bukowski erschienen, eine Neuauflage der Schallplatte „Poems & Insults!“. Das Original wurde 1975 durch den City Lights Bookstore in San Francisco vertrieben, die CD – der im Titel das Ausrufezeichen fehlt – gibt es nur in größeren Plattenläden. Rufen Sie also nicht in der Redaktion an, um nach der ISBN zu fragen: Es gibt sie nicht. Dieses Hörbuch ist kein Buch!
Sie wissen ja, wer Charles Bukowski ist: Dichter, Briefträger, Biertrinker. Geboren 1920, gestorben 1994. Im August wäre er siebzig geworden und ist darum in diesem Jahr neben Friedrich Nietzsche zum Abschuss durchs Feuilleton freigegeben.
Passen Sie bloß auf, dass Ihnen niemand erzählt, man lese Bukowski, weil er ein „Chronist der dunklen Seite des American way of life“ ist oder so etwas. Das stimmt nicht. Man liest Bukowski, weil es bei ihm ums Saufen geht. Und ums Ficken.
Tausend Leute waren am 14. September 1973 in San Francisco, als die Lesung aufgezeichnet wurde, aus der „Poems & Insults“ wurde. Sie freuen sich über jedes Four-Letter-Word Bukowskis, über seine Rülpser und auch über seine Ankündigung, er würde nachher noch jede einzelne Frau im Auditorium klarmachen. Oder vielleicht doch lieber ein Wetttrinken mit einem der Typen veranstalten, die ihm dauernd dazwischenquatschen: „Kannst du nicht mal die Schnauze halten und mich meinen Scheiß hier lesen lassen?“ – „Poems & Insults“, Gedichte und Beleidigungen.
Auf der CD sind natürlich auch zwei, drei traurige Gedichte. Zum Beispiel „Love“, in dem es nicht um Liebe geht, sondern um einen Selbstmord in einem heruntergekommenen Apartment. „Einige dieser Gedichte sind sehr ernst“, sagt Charles Bukowski nach der letzten Zeile in dem gleichen melodischen Singsang, in dem er liest. Das tue ihm leid, aber er sei eben nicht einfach nur eine „beer-drinking machine“. Er überlegt es sich dann aber anders: „We get back to the standard hart bullshit.“ Er macht sich ein Bier auf, liest „Piss and Shit“, und später dann noch das tolle Gedicht, in dem die Frage ausdiskutiert wird, ob man sich beim Sex gegenseitig die Zunge in den Po stecken sollte oder nicht. Es heißt „The Best Love Poem I Can Write At The Moment“.
Sie waren fünfzehn, als Sie Bukowski wegen dieser Schweinereien gut fanden? Und jetzt sind Sie erwachsen und mehr auf die dunkle Seite des Lebens gebucht? Dann schenken Sie „Poems & Insults“ doch einfach Ihren Kindern. Aber erklären Sie Ihnen nicht, worum es bei Bukowski „eigentlich“ geht.
KOLJA MENSING
Charles Bukowski: „Poems and Insults“ (Grey Matter)
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