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heute in hamburg„Die Aufmerksamkeit geht verloren“

Foto: privat

Sandra Vartan39, engagiert sich seit Anfang des Jahres für den Verein Hamburger Hilfskonvoi.

Interview Lotta Drügemöller

taz: Frau Vartan, morgen gehen 300 gespendete Fahrräder für Geflüchtete nach Thessaloniki. Warum gerade Fahrräder?

Die Geflüchtetenlager liegen oft weit außerhalb, bei einem unserer Partnerprojekte ist der nächste Supermarkt drei Kilometer entfernt – mit dem Fahrrad geht das schnell, aber zu Fuß ist es schon eine alltägliche Herausforderung. Gleichzeitig stellen die Räder auch eine Möglichkeit dar, dem tristen Campalltag mal für eine Stunde zu entkommen. Diese Abwechslung ist wichtig für die Psyche.

Wie wird entschieden, wer am Ende eines der 300 Fahrräder bekommt?

Natürlich gibt es Tausende Menschen vor Ort, von denen jeder irgendwie Bedarf hat. Wir vertrauen da auf unsere langjährigen Partner, „Inter-European Human Aid“ und „Medical Volunteers International“. Sie verteilen die Räder an insgesamt zwölf Organisationen, damit sie dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden. Allein 150 Räder gehen an das Open Culture Center in Polykastro, das gerade einen eigenen Fahrradverleih aufbaut.

Wie kommen die Räder nach Thessaloniki?

Wir arbeiten mit einem Logistikunternehmen zusammen. Bursped bringt die Fahrräder in zwei großen Trucks von Finkenwerder nach Thessaloniki. Die Fahrt dauert zwei, drei Tage. Das Ganze wird kein einfacher Transport. Beim Verladen bekommen wir Unterstützung von zwölf ehrenamtlichen Helfern, aber auch so werden wir auf jeden Fall stundenlang beschäftigt sein.

Der Transport jedes Fahrrads kostet um die 30 Euro. Hätte man nicht einfach Räder vor Ort kaufen können?

Die Frage stellt sich natürlich immer. Wir versuchen, möglichst viele Dinge vor Ort zu organisieren, das ist auch nachhaltiger. Viele Kleidungsstücke haben wir zum Beispiel über ein örtliches Nähprojekt bezogen. Aber in diesem und in vielen anderen Fällen geht es nicht anders. Fahrräder kosten eine Menge Geld. Und jetzt, wo so eine große Menge von Airbus gespendet wurde, lohnt sich der Transport eben doch. Tatsächlich haben wir die 9.000 Euro aber noch gar nicht beisammen. Es fehlen noch 3.500 Euro Spenden. Wir gehen jetzt in Vorleistung, aber natürlich bringt das den Verein an den finanziellen Rand.

Mal eine ganz grundsätzliche Frage: Wenn sich private Vereine ehrenamtlich um alles kümmern – wird dann nicht die Politik aus ihrer Verantwortung entlassen?

Über einen kleinen Verein läuft alles viel schneller und unbürokratischer. Trotzdem bleibt die Politik natürlich in der Pflicht. Und ich glaube, es ist sogar eine Aufgabe von Vereinen wie uns, die Politik und die Gesellschaft daran zu erinnern. Gerade jetzt, wo Afghanistan so groß in den Medien ist, geht die Aufmerksamkeit für andere Themen verloren. Wir tragen unseren Teil dazu bei, dass auch die Lage in Griechenland und anderswo überhaupt noch gesehen wird.

Verschickung von 300 gespendeten Fahrrädern für Geflüchtete in Thessaloniki

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