piwik no script img

heute in hamburg„Es würde helfen, wenn das Geld zügiger käme“

Foto: Karin Gerdes

Kerstin Föller 54, Juristin, ist Abteilungsleiterin in der Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale und – allen Widrigkeiten zum Trotz – HSV-Fan.

Interview Hagen Gersie

taz: Frau Föller, haben Sie Schulden?

Kerstin Föller: Nicht mehr.

Reden wir in Deutschland zu wenig über Schulden?

Das hat sich Gott sei Dank verbessert. Als ich vor zwanzig Jahren anfing, mochte noch niemand zugeben, dass er Schulden hat. Inzwischen spricht man offener drüber, aber vielen Leuten ist nicht mal klar, dass auch ein in Anspruch genommener Dispo Schulden bedeutet.

Ist Ihre Arbeit in der Schuldnerberatung seit der Pandemie mehr geworden?

Ja, eindeutig. Ein Großteil unserer Klientel hat sich immer aus den Geringverdienern zusammengesetzt. Wir haben sehr viele Hartz-IV-Empfänger gehabt und Schulden aufgrund besonderer Lebenssituationen, sprich Trennung oder Tod eines Lebenspartners. Der dritte Brocken war Arbeitslosigkeit. Jetzt kommt tatsächlich als vierter Auslöser Corona hinzu, weil wir jetzt relativ viele vorher durchaus Normal- bis Gutverdienende haben, denen die Einkünfte jetzt weggebrochen sind. Die stehen jetzt zum ersten Mal vor der Situation, dass sie die Rate für den Kredit nicht mehr zahlen können.

Hat eine Überschuldung während der Pandemie lebenslange Folgen?

Lebenslange auf keinen Fall. Einige sagen, wenn man jetzt wüsste, wir sind im Sommer raus, kneife ich solange nochmal alles zusammen und halte durch. Und andere sagen, ich weiß genau, in meiner Branche wird es, selbst wenn wir wieder öffnen, drei Jahre dauern, bis ich auf altem Niveau bin. Und in der Zeit machen mich meine Gläubiger platt. Für die gibt es dann das Insolvenzverfahren.

Was können Betroffene tun, außer zu Ihnen in die Beratung zu kommen?

Das Wichtigste ist: Kassensturz machen. Und dann die Ausgaben priorisieren. Dann muss man auch ehrlich sein und kann nicht sagen, ich will weiterhin meinen gewohnten Kaffee Latte trinken können und deswegen kriegen die Gläubiger nichts. Da muss man sich einschränken.

Haben Sie Forderungen an die Politik?

Es wäre schon mal sehr hilfreich, wenn die versprochenen Gelder etwas zügiger bewilligt würden. Wenn ich höre, das Ganze soll schnell und unbürokratisch gehen und dann aber lese, Selbstständige und Freiberufler können das nur über Steuerberater, Anwälte, Wirtschaftsprüfer beantragen, und gleichzeitig sagen mir die Steuerberater, wir haben jetzt schon vier Monate Wartezeit, bevor wir überhaupt dazu kommen – dann passt da etwas nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen