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heute in hamburg„Der letzte mächtige Großwesir“

Vortrag „Talât Pascha und Ziya Gökalp, Gründungsväter der heutigen Türkei“ von Hans-Lukas Kieser: 18:15 Uhr via Zoom. Registrierung hier: https://t1p.de/sjcu

Interview Hagen Gersie

taz: Herr Kieser, Sie forschen zum spätosmanischen Reich. Wie kam es dazu?

Hans-Lukas Kieser: Das geht auf eine Begegnung mit Flüchtlingen nach dem Militärputsch 1980 in der Türkei zurück. Ich habe damals Geschichte in Basel studiert und da kamen Menschen in meinem Alter als Asylsuchende an, das waren vor allem politische Flüchtlinge. Das hat meine Neugier, mein Interesse für den Nahen Osten geweckt.

Jetzt ist gerade Ihr Buch über Talât Pascha erschienen. Wer war er?

Talât Pascha war der letzte wirklich mächtige Großwesir des Osmanischen Reiches, der während des Ersten Weltkriegs den Genozid an den Armeniern veranlasst hat. Zugleich war er der Gründer von etwas Neuem, von einem, wie ich es nenne, ultra-nationalistischen Verständnis des Staats und der Staatsgesellschaft.

Was bedeutet das?

Das heißt, Talât ist das Bindeglied zwischen dem Reich und dem, was schließlich die Republik Türkei geworden ist. Auch ist er der erste Repräsentant und Führer eines Ein-Parteien-Regimes an der Spitze eines Imperiums in der europäischen Geschichte im weiteren Sinn. Alle anderen sind nach ihm gekommen.

In der Veranstaltung heute Abend sprechen Sie auch über Ziya Gökalp. Wer war das?

Ziya Gökalp war der charismatische Ideologe an Talâts Seite. Kurz gesagt, Gökalp war der charismatische Ideologe einer neuen, ethno-religiös verstandenen türkischen Nation. Und er ist bis heute der überragende Vater des türkischen Nationalismus.

Foto: Sürece Katkilan

Hans-Lukas Kieser, 64, ist Schweizer Historiker und Experte für das spätosmanische Reich.

Und welche Rollen spielen diese beiden Männer für die heutige Türkei?

Einerseits sind beide sehr präsent, weil Straßen, Moschee und Schulen nach ihnen benannt worden sind. Außerdem gibt es natürlich viel Literatur über sie und von ihnen selbst. Also sind sie generell in der Türkei noch allzu allgegenwärtig.

Und politisch? Bedeuten sie da heute auch noch etwas?

Ziya Gökalp ist bis heute derjenige, der am umfassendsten, aber auch am einprägsamsten den türkischen Nationalismus formuliert hat. Talât Pascha ist zwar nicht so präsent an der politischen Oberfläche. Aber er ist sozusagen der Elefant im Raum, weil er vor Kemal Atatürk der Begründer dessen ist, was der türkische Nationalstaat wurde, den man zu einseitig nur mit Kemal Atatürk verbindet.

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