heute in hamburg: „Zu 98 Prozent rätselhaft“
Tischgespräch Ein Biologe erklärt in der Kneipe, ob unsere Gene nun eine Müllkippe sind oder nicht
65, ist seit 2002 Professor für Biochemie und Molekularbiologie an der Uni Hamburg und ist seit Oktober im Ruhestand.
taz: Herr Hahn, warum meinen Forscher, dass unser Erbgut Müll enthält?
Ulrich Hahn: Es ist eben kein Müll. Den Begriff „Junk“ haben US-amerikanische Forscher erfunden, weil man – großteils bis heute – nicht versteht, welche Informationen unser Erbgut enthält. Wir wissen nur von zwei Prozent der Gene, dass sie dazu dienen, aus Proteinen unseren Körper aufzubauen – Haare, Haut, Fleisch und so weiter. Die restlichen 98 Prozent der genetischen Information sind rätselhaft. Vermutlich regulieren sie Vorgänge wie Haarwachstum und Verdauung.
Haben Sie das auch erforscht?
Ja. Wir haben RNA – daraus bestehen besagte 98 Prozent des Erbguts – künstlich erzeugt und mit ihnen Krebs-Therapeutica in Zellen geschleust, die dann abstarben.
Das wäre ein Riesenfortschritt.
Ja, und wir haben es auch patentieren lassen. Aber bis zum Medikament wird es noch dauern.
Und warum erzählen Sie das alles in der Reihe „Wissen vom Fass“ in einer Kneipe?
Als mich ein Kollege 2015 erstmals bat, mitzumachen, war ich skeptisch. Dann habe ich auf Youtube gesehen, wie gut die Reihe in Tel Aviv funktioniert, wo sie begann. Es hat mir dann großen Spaß gemacht, und jetzt bin ich zum zweiten Mal dabei.
Wem nützt die Aktion?
Den Netzwerkern. Voriges Jahr war einer meiner Doktoranden im Publikum, der nach meinem Vortrag mit Physik-Doktoranden ins Gespräch kam.
Aber ist Wissenschaft in der Kneipe nicht eine Zumutung?
Einige kommen gezielt, aber bei den anderen, die eigentlich nur ein Bier trinken wollen, bitten wir um Verständnis. Der Vortrag dauert ja nur eine halbe Stunde.
Trotzdem klingt es nach krampfiger Volksbildung nach dem Motto: „Wenn ihr nicht lernen wollt, lauern wir euch eben in der Kneipe auf!“
Das ist zu negativ formuliert. Ich selbst habe nach dem Vortrag das Gefühl, etwas Gutes vollbracht zu haben. Wenn ich merke, es kommt an, die Leute sind zufrieden, freut mich das. Abgesehen davon können wir den Menschen so klarmachen, dass die Forschung, für die sie ihre Steuern ausgeben, sinnvoll ist. Und dass Uni-Professoren ganz normale Leute sind, die auch mal ein Bier trinken und mit denen man sich auf Augenhöhe unterhalten kann.
Interview: PS
Kneipenvortrag von Ulrich Hahn: „Unser Erbgut soll Müll enthalten?“ 19 Uhr, Schellfischposten, Carsten-Rehder-Straße 62. Parallelveranstaltungen: www.wissenvomfass.de
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