heute in bremen: „Ich war unheimlich beseelt“
Interview Pia Tönnissen
taz: Frau Scholz, wie sind Sie zur Recherche zum Thema „Trisomie 21“ gekommen?
Claudia Scholz: Ich habe vor zwei Jahren Amelie Gerdes kennengelernt. Eine sehr kluge, junge Frau. Und da ist mir aufgefallen, dass ich mich vorher noch nie länger mit einem Menschen mit Trisomie 21 unterhalten hatte. Daran habe ich mich jetzt erinnert, als ich vor einiger Zeit einen Artikel über den nicht-invasiven-pränatalen Bluttest gelesen habe. Und da kam die Idee meines Schwerpunkts auf: Ich habe mich also ans Blaumeier-Atelier gewandt und dort mit zwei Menschen mit Down-Syndrom geredet. Und ich habe nochmal mit Amelie Gerdes gesprochen. Das waren großartige Gespräche.
Was haben Sie bei den Interviews gelernt?
Ich muss zugeben, dass ich vor der Recherche eine Hemmschwelle hatte, weil ich Angst hatte, unbewusst in ein Fettnäpfchen zu treten. Das geschieht ja recht häufig und ist für Menschen mit Behinderung oft sehr beleidigend. Deshalb habe ich mich von einer ehemaligen Kollegin von Radio Bremen beraten lassen: Rebecca Maskos. Die hat viele tolle Sachen gesagt: zum Beispiel, dass ich die Menschen einfach fragen soll, wenn ich mir bei Begriffen unsicher bin. Einer meiner Gesprächspartner mochte zum Beispiel den Begriff Down-Syndrom lieber, die andere lieber Trisomie 21. Bei den Gesprächen haben sich alle aufeinander eingelassen. Ich war unheimlich beseelt davon.
Welche Geschichten erzählen Ihre Beiträge?
Es gibt eine Reportage über eine Familie mit einem sechsjährigen Sohn mit Trisomie 21. Die Familie erzählt, wie das ihr Leben verändert hat. Vorher, in der Schwangerschaft, hatten sich die Eltern eigentlich geeinigt, das Kind nicht zu bekommen, wenn es Hinweise auf Trisomie geben würde. Es gab aber keine Hinweise, deswegen waren sie erst erschrocken. Im Nachhinein sind sie froh, ihr Kind bekommen zu haben.
Heute will ein Bundesausschuss über die Frage entscheiden, wie Informationsmaterial gestaltet sein soll, das Eltern bekommen, wenn sie einen Bluttest für das Risiko von Trisomie 21 mache. Was denken Sie darüber?
Das ist eine schwierige Frage. Es gibt durchaus Argumente, die dafür sprechen. Einerseits könnte so ein Test Spätabtreibungen verhindern, weil die Diagnose früh gestellt wird. Außerdem ist der Bluttest ungefährlich. Das ist beim Fruchtwassertest anders. Andererseits sehen Behindertenverbände die Gefahr, dass dann weniger Kinder mit Down-Syndrom zur Welt kommen, wie das in skandinavischen Ländern schon der Fall ist. Die Entscheidung für eine Abtreibung ist eine sehr schwere. Einige leiden noch Jahre später darunter. Andere wiederum nicht. Letztendlich muss das jeder selbst entscheiden. Wenn man ein Kind mit Down-Syndrom bekommt, wäre es schade, wenn gefragt wird, warum man keinen Test gemacht hat, um das zu verhindern. Auf die Frage gibt es nicht die eine Antwort. Ich hoffe, dass Eltern vorher maximal informiert sind.
Warum ist die Gestaltung des Infomaterials das so wichtig?
Die Entscheidung ist sehr weitreichend. Die Infobroschüre sollte daher möglichst gut informieren. Eine Schwangerschaft ist ohnehin schon eine Ausnahmesituation. Eine Idee des Themenschwerpunkts ist es zu zeigen, wie unterschiedlich Menschen mit Down-Syndrom sind – wie wir ja auch. Je mehr man weiß, desto besser kann man für sich entscheiden.
Thementag „Alles außer Wäsche waschen: Leben mit Trisomie 21“: den ganzen Tag, bei „Bremen Zwei“, im Radio oder im Stream auf www.bremenzwei.de
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