heute in bremen: „Die Résistance wollte ihn zuerst gar nicht, diesen alten Professor mit seinem Krückstock“
Peter Schöttler, 70, Historiker, war von 1989 bis zur Pensionierung Professor am Institut für Zeitgeschichte des CNRS in Paris.
Interview Sophie Lahusen
taz: Herr Schöttler, Sie halten einen Vortrag über Marc Bloch. Wer war er?
Peter Schöttler: Marc Bloch war ein französischer Mittelalterhistoriker, Professor an der Sorbonne, ein großer Gelehrter. Aber auch ein engagierter Bürger, der im Zweiten Weltkrieg Teil der Résistance wurde. 1944 wurde er von der Gestapo festgenommen, gefoltert und schließlich ein paar Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie als Widerstandskämpfer auf freiem Feld erschossen.
Bloch meldete sich im Zweiten Weltkrieg freiwillig und verarbeitete seine Erlebnisse nach dem Waffenstillstand von 1940 in dem Werk „Die seltsame Niederlage“. Was macht dieses Werk so besonders?
Dieses Buch ist kein typisches Erinnerungsbuch, es ist eher der Versuch einer kritischen Gesellschaftsanalyse, das Programm einer Zeitgeschichte. Bloch war ja von Beruf Mediävist, doch wegen dieses Buches wird er zu Recht auch als Zeithistoriker bezeichnet.
Deutete sich mit diesem Werk schon seine spätere Tätigkeit in der Résistance an?
Das Buch wurde erst nach dem Krieg veröffentlicht, aber er deutet darin sehr klar an, dass er bereit ist, sein Leben zu opfern. Er fragt in dem Werk „Was haben wir falsch gemacht?“ und kritisiert die französische Gesellschaft scharf, so konservativ gewesen zu sein, und lieber Hitler als die Volksfront gewählt zu haben. Er hält den Finger also genau in die Wunde.
Bloch ist schon 56 Jahre alt, als er der Résistance beitritt, welche Rolle hatte er dennoch?
Es stimmt: die Leute in der Résistance wollten ihn zuerst gar nicht, diesen alten Professor mit seinem Krückstock. Aber schnell hat sich herausgestellt, dass Bloch eine extrem organisierte und systematisch denkende Person war, wodurch er gewissermaßen zum logistischen Kopf in der Bewegung wurde.
Vortrag „Marc Bloch: Vom Geschichtswissenschaftler zum Widerstandskämpfer“, Institut Français, Contrescarpe 19, 19 Uhr
Heute ist Bloch nicht nur als Widerstandskämpfer, sondern auch als Historiker berühmt, wieso?
Zu Blochs Zeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, war Geschichte vor allem die Geschichte großer Männer. Bloch brachte mit der Zeitschrift „Annales“ zum ersten Mal ein Fachorgan heraus, in dem es um Gesellschaftsgeschichte ging, und zwar extrem interdisziplinär. Die alten Traditionen wurden aufgegeben und dafür gab es jetzt Schnittstellen mit der Soziologie und Ethnologie, damals noch extrem junge Wissenschaften. Auch wichtige spätere Werke etwa von Foucault bewegen sich in den Spuren der „Annales“.
Und wieso gilt Bloch oft als „deutsch-französische“ Person, nach der auch ein Institut der Humboldt-Universität benannt wurde?
Das ist eher eine nachträgliche Geschichte, eine Art Hommage an einen Deutschlandkenner, der aber von den Deutschen ermordet wurde. Bloch war eigentlich nicht germanophil, sondern anglophil, aber er hat sich sehr für Deutschland interessiert. Er konnte auch gut Deutsch. Umso entsetzter war er über die Nazis. Als er Hitler im Radio hörte, sagte er: „Il parle comme un cochon“, Hitler spreche Deutsch wie ein Schwein.
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