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heute in bremen„Revolutionen sind komplexer“

Foto: RLS

Bini Adamczak, 1980 geboren, arbeitet als Autorin und Künstlerin zu politischer Theorie, queerfeministischer Politik und Revolutionen.

Interview Benjamin Moldenhauer

taz: Wir denken bei der Revolution von 1917 zuerst an eine gewaltsame Übernahme der Staatsgewalt. Was fehlt in dieser etablierten Erzählung der Russischen Revolution?

Bini Adamczak: Das perfide ist: In dieser Vorstellung sind sich Anhänger*innen des Stalinismus wie des Antikommunismus einig. Eine kommunistische Revolution ist der Staatsstreich einer straff organisierten, autoritären Partei. Nur die Bewertung ändert sich. Während die Stalinist*innen hierin die Rechtfertigung ihrer eigenen Gewalt sehen, sind Antikommunist*innen überzeugt, dass nur die Herrschenden, die Besitzenden Gewalt ausüben dürfen. Was beide übersehen ist, dass Revolutionen viel komplexere Prozesse sind, die sich nicht vom Feldherrenhügel aus planen lassen.

Durch gewaltfreien Widerstand wäre der Zar aber nicht entthront worden.

Der Kampf um die Staatsmacht ist nicht unwesentlich, schließlich ist hier die meiste Gewalt konzentriert. Aber er ist keinesfalls das Wesen der Revolution. Eine Regierung kann durch eine andere Regierung ersetzt werden, ohne dass sich an den Lebensverhältnissen der Menschen, an den Beziehungen, die sie zueinander unterhalten, viel ändert. Aber genau darum geht es bei emanzipatorischen Revolutionen: um eine radikale Verbesserung des Lebens durch Veränderung unserer sozialen Beziehungen.

1968 lief es anders. Da fand eine Revolte statt, die nicht mehr primär den Staat übernehmen, sondern das Individuum verändern wollte.

Lesung und Diskussion zu Bini Adam­czaks Buch „Beziehungsweise Revolution“, Kukoon, 19.30 Uhr

Der Eindruck stellt sich im Nachhinein ein, weil die Revolutionswelle nur in Mexiko und Frankreich für die Staatsmacht bedrohlich wurde, ohne sie jedoch zu stürzen. 1968 war nicht siegreich, aber es war dennoch ziemlich erfolgreich. Viele Aspekte unseres Lebens sind von dieser Bewegung geprägt, von Resten kollektiven Lebens wie der WG, über unser Verhältnis zu Sexualität und Geschlecht sowie zur Arbeit. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Bewegung nur Teilforderungen durchsetzen konnte.

Was kann man heute von 1968 lernen?

Die Menschen kämpften gegen ein vorgeplantes Leben, das von Schule über Ausbildung, Vollzeitjob bis zur Rente vorgeschrieben ist. Heute können viele Menschen selbst entscheiden, wann sie arbeiten wollen – aber die Deadline wird weiterhin vom Kapital gesetzt. Es gibt mehr Freiheit, aber mindestens genau so viel Stress. Das ist nicht das, was die Revolutionärinnen 68 wollten. Wir tun gut daran, uns an ihre Absichten zu erinnern, um uns zu fragen, was wir noch umsetzen sollten, um entspannter zu leben.

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