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heute in bremen„Verantwortung der reichen Industrieländer“

Foto: privat

Olaf Bernau, 48, ist Aktivist bei Afrique-Europe-Interact, einem transnationalen Netzwerk für Bewegungsfreiheit.

Interview Jean-Philipp Baeck

taz: Herr Bernau, warum sollten wir beim Blick auf Fluchtursachen den Kolonialismus noch beachten?

Olaf Bernau: Der relativ junge Diskurs um die Bekämpfung von Fluchtursachen ist auf zwei Arten problematisch. Es wird einerseits suggeriert, Europa habe mit Afrikas Armut nichts zu tun. Und andererseits, dass weniger Menschen kämen, wenn es mehr Wohlstand gäbe. Das ist ein Trugschluss.

Wieso das?

Stand der Forschung ist, dass mit steigendem Wohlstand auch die Migration zunimmt. Zudem wird ausgeblendet, dass Afrika seit der kolonialen Zeit arm gemacht wurde. Das ist die Verantwortung der reichen Industrieländer.

Inwiefern spielt das heute noch eine Rolle?

Auf der ökonomischen Ebene wurde Afrika bereits im Kolonialismus zum reinen Rohstofflieferanten degradiert, vor allem für mineralische Rohstoffe. Jede Industrialisierung wurde aktiv verhindert. Diese prinzipielle Weichenstellung ist bis heute präsent.

Die De-Kolonialisierung Afrikas ist rund 50 Jahre her. Das klingt nun so, als hätten sich die afrikanische Länder seitdem überhaupt nicht weiterentwickelt.

Vortrag und Diskussion: „Wer Fluchtursachen verstehen möchte, darf vom kolonialen Erbe nicht schweigen“, mit Olaf Bernau, 19.30 Uhr, Stadtkommune Alla Hopp, Hardenbergstr. 52–54

Einerseits gab es das sehr schwierige Erbe: Von Anfang an war bei den unabhängig gewordenen Staaten das Problem, dass sie ökonomisch ein schlechtes Fundament für eine eigenständige Entwicklung hatten. Andererseits gab es durchaus Entwicklung, was sich etwa in höherer Lebenserwartung oder einer punktuellen Industrialisierung ausgedrückt hat. All das ist aber durch die Verschuldungskrise in den 1980er-Jahren wieder untergegangen.

Nun flüchten Menschen aber nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern auch vor Regimen wie dem Isayas Afewerkis in Eritrea.

Man muss diktatorische Regime kritisieren. Aber auch hier liegt ein Erbe des Kolonialismus: Im kolonialen Kommando-Staat wurden sogenannte Chiefs als einheimische Co-Eliten eingesetzt. Später waren diese für die anti-kolonialen Unabhängigkeitsbewegungen oft zentral, haben dann aber in den unabhängig gewordenen Staaten die alten kolonialen Muster kopiert, sind also ins Autoritäre und Diktatorische abgeglitten. Es geht daher nicht darum zu leugnen, dass schlechte Regierungsführung eines der zentralen Probleme ist. Aber diese korrupte Staatlichkeit ist ohne die Geschichte des Kolonialismus nicht denkbar.

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