heute in bremen: „Verfolgung gehört seit dem Mittelalter dazu“
Interview Teresa Wolny
taz: Herr Franz, Sie sind im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen. Wie sah die Situation der Sinti und Roma nach der Verfolgung in der NS-Zeit damals aus?
Mario Franz: Für die Mehrheitsgesellschaft war der Krieg vorüber, für uns ging er noch weiter, nur mit anderen Mitteln. Ich gehöre zur zweiten Generation, mein Vater war im KZ und meine Mutter musste in einem Heim Zwangsarbeit leisten. Groß geworden bin ich im Ghetto Papenhütte in Osnabrück, ein Ort, der eigentlich einmal als KZ gedacht war. Dort war man vom sozialen Leben ausgeschlossen.
Inwiefern?
Integration und Jobsuche waren nicht oder kaum möglich. Ich hatte mich als kleiner Junge gefreut, zur Schule zu gehen und wurde mit sieben Jahren auch mit Schultüte und allem eingeschult. Nach einigen Tagen begannen dann die Angriffe, die von „Zick Zack, Zigeunerpack“ bis zu einigen tätlichen Übergriffen reichten. Danach bin ich zwei Jahre – auch aus Angst – nicht mehr zur Schule gegangen.
Wie ging es weiter?
Mit neun Jahren bin ich dann nochmal in die zweite Klasse eingeschult worden. Wir haben immer ganz hinten gesessen. Ich wurde zum Klassensprecher gewählt, das sollte dann aber doch lieber jemand anderes machen. Ich bin dann zunächst noch unregelmäßig zur Schule gegangen, wegen der ständigen Repressalien aber irgendwann gar nicht mehr. Mit 25 habe ich angefangen, meinen Hauptschulabschluss nachzuholen. Den musste ich dann aber aus gesundheitlichen Gründen abbrechen.
Ist Ihr Engagement für die Erinnerung der Geschehnisse auch eine Form von Verarbeitung?
Zeitzeugengespräch und Film „Nicht wiedergekommen“: 18 Uhr, Stadtbibliothek, Wallsaal
Es geht mehr um Aufklärung. Das Leben eines Sintos kann jemand von außen nicht verstehen, die Verfolgung gehört in der gesamten deutschen Sinti-Geschichte seit dem Mittelalter dazu. Wir selbst brauchen in diesem Bereich keine Aufarbeitung oder Aufklärung, wir wissen, was Sache war.
Wie ist die Situation der Sinti und Roma in Deutschland heute?
Auch wenn sich die Geisteshaltung der Mehrheitsbevölkerung in Teilen geändert hat, gibt es vor allem im Bereich der Bildung noch Schwierigkeiten. Der Bildungsausschluss ist immer noch zu spüren. Ich bin 52 und viele in meinem Alter sind Analphabeten. Man hat immer noch den Zigeuner im Kopf und das müssen wir loswerden.
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