heute in bremen : Poesie statt Hexameter
„Poetry on the road“ heißt das internationale Lyrik-Festival, auf dem ab heute Gedichte aus aller Welt ihren Auftritt haben
taz: Die Dichter und wenigen Dichterinnen kommen aus aller Welt, aus China, Japan, Zimbabwe – kann man deren Werke überhaupt verstehen?
Regina Dyck, Festivalleiterin: Ja, es gibt immer eine Ebene, auf der sich Gedichte erschließen, auch wenn man die Sprache nicht spricht. Das ist wie bei Popmusik, da versteht man auch nicht jedes Wort. Die Gedichte wurden aber übersetzt und werden auch auf Deutsch vorgelesen.
Lyrik übersetzen – geht das?
Das geht schon, stellt aber hohe Anforderungen an die Übersetzer, die ein eigenes poetisches Empfinden besitzen müssen.
Und braucht das Publikum auch so eine poetische Ader, um etwas zu verstehen?
Das ist eine sehr deutsche Vorstellung, dass Lyrik etwas hochkompliziertes ist, was man grundsätzlich nicht versteht. Das liegt daran, dass im Deutschunterricht ein Gedicht bis zum letzten Hexameter aufgedröselt wird. Im Ausland haben Gedichte eine andere Stellung. Zum Beispiel Zheng Chouyu: Dessen Gedichte werden in China als Graffitis an Hauswände gesprüht und als Gassenhauer gesungen.
Liegt das vielleicht auch an den Texten selbst?
Ja, deutsche Gedichte haben selten eine so klare Botschaft wie zum Beispiel die von Bora Cosic aus Serbien. In seinem „Gelegenheitsgedicht“ bezieht er Stellung zu den USA und zum Krieg. Ein deutsches Gedicht versteht man oft erst beim zweiten oder dritten Lesen. Wenn Autoren sie live vortragen, erschließt sich der Sinn oft schneller. Fragen: Eiken Bruhn
Das Programm (11. bis 29. Mai) findet sich bei www.poetry-on-the-road.com