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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf Zwangsversteigerte Sieger

FRITZ TIETZ fordert die Einführung der Taubenregeln im Fußball. Vor allem für Jens Lehmann wäre das nicht schlecht

Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

Um noch mal auf den Brieftaubensport zu kommen, dem, wie ich neulich beklagte, Stiefkind der hiesigen Sportberichterstattung – denn das ist er völlig zu Unrecht: Allein die tollen Erfolge, die deutsche Taubensportler regelmäßig bei internationalen Vergleichen einheimsen, hätten eine größere Beachtung durch die heimische Sportpresse verdient. Und immerhin wurde der Taubenwettkampf in Deutschland erfunden. Vom Ruhrgebiet breitete sich der „Rennsport des kleinen Mannes“ in alle Welt aus. Kleine Männer gibt’s eben auch in England, USA, China oder Südafrika, um die neben Deutschland bedeutendsten Taubensport-Nationen zu nennen.

Einen weiteren Anlass, sich intensiver mit dieser gemeinhin bloß als Bizarrsportart behandelten Disziplin zu beschäftigen, liefert deren Regelwerk, das insbesondere in einem Punkt durchaus einen Anstoß auch für die Regularien gängiger Sportarten geben könnte. Um nämlich den Taubenbestand des jeweiligen Ausrichterlandes der jährlich stattfindenden Tauben-Weltmeisterschaften zu stärken, müssen, so schreibt es jene Regel vor, deren erfolgreichste Teilnehmer im Gastgeberland verbleiben. Gleich nach der Siegerehrung werden die 100 besten Tauben an einheimische Schläge zwangsversteigert. So musste bei der WM Anfang Februar im südafrikanischen Sun City auch der alles überragende deutsche Siegervogel Cisco den Besitzer und die Nation wechseln. Immerhin 6.500 Dollar erhielt der Eigner Heinrich Jammer aus Lahntal für seinen Super-Tauber, der nun für Südafrika startet. Ich finde: nicht die schlechteste Idee, das Leistungsgefüge einer Sportart zu internationalisieren und so dafür zu sorgen, dass nicht immer dieselben Nationen abräumen.

Vor allem ist dies aber eine Regelung, die auch anderen Sportarten sicher gut bekäme. Nehmen wir nur mal das Rennrodeln, das ja seit Menschengedenken von den deutschen Athleten derart dominiert wird, dass manchen ihrer Wettkämpfe die rechte Spannung doch arg abgeht. Wäre aber beispielsweise die deutsche Rodel-Ikone Georg Hackl beizeiten, nämlich nach dem Gewinn seiner ersten olympischen Goldmedaille in Calgary, an das Ausrichterland Kanada versteigert worden, sähe der Medaillenspiegel im Rodeln heute bestimmt ausgeglichener aus. Schließlich wäre Hackls zweite Goldene 1992 in Albertville für Kanada verbucht worden. Und sein Gold von 1994 im norwegischen Lillehammer hätte an Frankreich gehen müssen. Denn gemäß dem Versteigerungsstatut wäre ja Hackl in Albertville an Ausrichter Frankreich weiter gereicht worden. Und so weiter: Sein Olympiasieg 1998 im japanischen Nagano würde demnach einer für Norwegen sein, während das Silber von Salt Lake City auf die Kappe von Japan ginge. Natürlich kann eine solche Prognose nur spekulativ ausfallen. Möglicherweise wäre Hackls Karriere ganz anders verlaufen. Wer weiß denn schon, ob Kamerad Schorsch unter den kanadischen oder französischen Trainingsbedingungen ebenso erfolgreich hätte sein können, wie er es als deutscher Sportsoldat war.

Noch abwechslungsreicher als im Individualsport würde sich das Versteigerungsmodell auf die Mannschaftssportarten auswirken. Nur mal angenommen, man verführe auch im Fußball nach den Taubenregeln. Dann würden jetzt einige der brasilianischen Weltmeister Söhne Nippons sein und Japan als einer der nächsten Titel-Aspiranten gelten. Als bester Torwart der letzten WM wäre wohl auch Oliver Kahn zwangsversteigert worden und würde heute möglicherweise als die Nummer 1 im Team des zweiten WM-Ausrichters Südkorea die Kullerbälle des japanischen Verteidigers Roberto Carlos durch die Flossen rutschen lassen. Jens Lehmann aber stände ohne seinen heutigen Kontrahenten fein da und längst für Deutschland im Tor und wäre folglich auch niemals der Peinlichkeit erlegen, Kahns privates Hobby öffentlich zu befrotzeln. Schon deshalb lohnte es sich, über die Einführung des Taubenstatuts im Fußball zumindest einmal nachzudenken.