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herr tietz macht einen weiten einwurfFRITZ TIETZ über Onkel Emils Küchentisch

Ein pharmazeutisches Gebirge

„Der Radsport steht vor einem Scherbenhaufen“, resümierte die Süddeutsche Zeitung (SZ) die Dopingfunde neulich beim Radrenn-Klassiker Giro d’Italia, wählte mit Scherbenhaufen allerdings ein eher unzulängliches Bild. Pillenhaufen wäre treffender gewesen. Oder Medikamentenberg. Oder Arzneidosenstapel: „Der Radsport steht vor einem Arzneidosenstapel.“ Das träfe die derzeitige Situation im Radrennsport genauer, das klänge auch viel besser. Obendrein hätte so die an innovativen Bildern eh arme Sportberichterstattersprache um eine prima Metapher bereichert werden können. Leider hat die SZ, um es mit einer der abgehangensten Sportreporterphrasen zu bedauern, diese Chance kläglich vertan bzw. versiebt, man könnte auch noch sagen: vergeigt.

„Der Radsport steht vor Onkel Emils linker Küchentischhälfte“, wäre freilich ein ebenso sinnfälliges und vielleicht noch hübscheres Bild für das gewesen, wovor der dopinggeschrägte Radsport jetzt angeblich steht. Es setzte allerdings die allgemeine Kenntnis von Onkel Emils Küchentisch voraus sowie das Wissen um seine Unart, die linke Tischhälfte ausschließlich für die offene Lagerung und Bevorratung seiner Medikamente zu nutzen. Eine prächtige Halde aus lose gestapelten Tablettenschachteln, Arzneidosen, Pillenportionierern, Pulverbriefchen usw. türmt sich da auf im malerischen Verbund mit etlichen Messlöffelchen, lose herumkullernden Pastillen und bibabunten Kapseln, halb entfalteten Beipackzetteln sowie allerhand bereits abgezeichneten Rezepten, die noch ihrer Einlösung harren. Wäre mein Onkel Emil Radrennprofi und käme er in eine Dopingkontrolle der italienischen Drogenpolizei, hätte er wegen dieses pharmazeutischen Gebirges sicherlich einige Hartnäckigkeiten seitens der Ermittler zu erleiden.

Doch was heißt hier erleiden. Groß geschurigelt haben die italienischen Doping-Fahnder die Giro-Profis in San Remo ja nicht gerade. Muss eher eine ziemlich lahme Razzia gewesen sein. Kein einziger Warnschuss ist beim Sturm auf das Fahrerhauptquartier abgefeuert worden, nur ein Verdächtiger aus dem Fenster gesprungen. Statt „Hände hoch“ hätten die Fahnder bloß „Handy hoch!“ gerufen und erst mal alle Mobiltelefone eingesammelt. Angeblich, um die Fahrer daran zu hindern, den Tour-Apotheker anzurufen und vorsichtshalber die letzten Bestellungen zu stornieren. Tatsächlich vermutete die Polizei, dass es sich bei einigen dieser Mobiltelefone um getarnte, mit den Dopingmitteln „Wadenkraft“ und „Gefäßerweiterung“ gefüllte Zäpfchen handelt, die die Fahrer unauffällig wie ein Handy mit sich, aber bei Doping-Bedarf rektal einführen können. Ein Verdacht, der angesichts der immer kleineren und gleitförmigeren Abmessungen, die Mobiltelefone mittlerweile aufweisen, gar nicht so abwegig erscheint, sich aber bislang nicht bestätigte.

Bestätigt hat die Polizei nur, dass in etlichen der durchrazzten Hotelzimmer verbotene Substanzen gefunden wurden. So auch im Quartier des italienischen Nachwuchsstars Dario Frigo, der den Missbrauch sogar umgehend gestand. Er habe eben gewinnen wollen, erklärte er überraschend offendosig, und wer will ihm das verdenken angesichts der klasse Verdienstmöglichkeiten, die sich einem als Sieger des Giro eröffnen. Mittlerweile hat Frigo sein Geständnis allerdings relativiert. Nicht er sei gedopt gewesen, sondern bloß sein Kulturbeutel. Darin aufbewahrt, habe ihm das Dopingmittel lediglich als „psychologische Stärkung“ gedient.

Vielleicht sollte man den sog. Kampf gegen das Doping als eine eigene Sportart etablieren, in der dann auch die Ausflüchte dopingverdächtiger Sportler mit in die Wettkampfwertung kämen. Mit seiner prima Ausrede wäre Frigo darin derzeit unangefochtener Spitzenreiter.

Fototext:Fritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

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