herr tietz macht einen weiten einwurf: FRITZ TIETZ über einen kleinen Besuch bei den Kahns
Niemals aufgeben!
Sie nennen ihn das Tier, die Flanken-Flak, die Bayernsau: Oliver „King“ Kahn. Bester Keeper der Welt. Unsere Nummer eins bei der WM: der Super-Olli, das Torwartungeheuer, der große Blonde mit dem noch größeren Knall, der, wo kein Grashalm mehr wächst, wenn der mal hinlangt, der „nie aufgeben“, sondern „immer nur weitermachen“ will. Genau den habe ich neulich besucht:
Dienstagabend. Auch eine Stunde nach Trainingsschluss liegt noch ein essigsaurer Schweißgeruch über dem Bayern-Gelände an der Säbener Straße. Längst sind die Bayern-Profis in der Kabine bzw. Sabine (Scholl). Nur einer rabackelt noch auf dem beheizbaren Übungs-Grün herum: Torwart Oliver Kahn kloppt Abstöße – mit dem Medizinball. Anschließend haut er seinen Schädel immer wieder gegen das Aluminium seines Gehäuses. Torwarttrainer Sepp Maier schaut kurz vorbei. „Lass gut sein, Oliver“, ruft er angewidert. „Du blutest ja schon wie a Sau.“ Trainingsalltag.
Endlich Feierabend. „Bin gleich so weit“, zischt mir Kahn zu, während er auf der Trainingsbahre abtransportiert wird, aus mehreren Klaffwunden blutend. Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt erwartet ihn schon samt OP-Team. Eine Viertelstunde später kommt der Nationaltorwart frisch getackert aus der Umkleide gefedert. „Hallo auch!“ Kahns Händedruck ist wider Erwarten lasch. Dazu lässt er kurz seinen Mittelfinger in meiner Handfläche kitzeln. – Der Detlefgruß? „Kleiner Spaß!“, lacht der gebürtige Badener, ohne allerdings wirklich zu lachen, weil ihm sonst sein riesiges Gnatschgummi aus dem Laden fiele. Auf dem Weg zum Parkplatz boxt er mir einfach so in die Magengrube.
Kahns Auto hat vier Räder, vier Türen. Hinten dran ein Aufkleber: „Nicht hupen – Fahrer träumt vom WM-Titel.“ Typisch! Zwanzig Minuten später erreichen wir seine Paar-Millionen-Immobilie. „Kahn, Vizeweltmeister“, lese ich auf dem Klingelschild. Doch Oliver Kahn klingelt nicht. Er hat einen Schlüssel. Schon drängt er mich in den Fünf-Meter-Flur, brüllt: „Hallo Schatz, ich bin’s.“ – „Wer denn sonst?“, ruft Gattin Simone aus der Küche zurück. Ein eingespieltes Team. Dann zeigt mir Oliver Kahn ein paar Superparaden auf die Wohnzimmercouch im FC-Bayern-Design.
Hobbys? „Ich denke mir in meiner Freizeit Religionen aus. Mit Göttern, Heilsversprechungen, Himmel, Hölle, Sünden pipapo. Dabei kann ich bestens abschalten.“ Lieblingsessen? „Alles, außer Gras. Das fress ich beruflich schon genug.“ Ich lache höflich über seinen faden Ulk, revanchiere mich mit einem klasse Gegenwitz. „Moment“, sagt er darauf und verschwindet kurz im Keller, um abzulachen. Na bitte, geht doch. Drei Minuten später. Ob er sich nicht mal den Unterbiss machen lassen will, frage ich. Wortlos zieht Kahn einen mittelstürmeroberschenkeldicken Holzscheit unterm Couchtisch hervor, beißt ihn mit einem Kiefernhieb entzwei. Alles klar. Keine weiteren Fragen. Kahn leert derweil nachdenklich ein Fläschchen Adrenalin. Woran er wohl gerade denkt, frage ich mich. Und vor allem, womit? Kahn stiert ins DSF.
Plötzlich schneit Simone rein: „Olli, ich fahr noch schnell zur Post, ein Paket aufgeben.“ Da furiost der Torwart hoch, fast so wild wie auf’m Platz. „Nie aufgeben, hörst du, niemals aufgeben“, zetert er. Er zerrt Simone an den Haaren runter, krallt ihr seine Faust ins Gesicht, brüllt: „Immer weitermachen, hab ich gesagt, immer weiter.“ Simone Kahn gibt sich geschlagen. „Na gut, dann gebe ich das Paket eben nicht auf. Dann lass ich’s eben weitermachen. Meine Güte. Jetzt krieg dich mal wieder ein, blöder Spinner.“ Ich denk mir mein Teil.
Endlich heißt es Abschied nehmen. „Schweres Spiel morgen“, murmelt Oliver Kahn, „wie immer.“ Will mir dann unbedingt noch seine alte Winnie-Schäfer-Perücke aufschwatzen: „Ich brauche den ollen Plunder nicht mehr.“ Ich allerdings auch nicht.
Fotohinweis: Fritz Tietz ist 43 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.
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