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heldentum und eierpunsch von KARL WEGMANN

Gesegnete Vorweihnachtszeit. Draußen schaukeln die Meisenknödel im eisigen Ostwind, drinnen werden fossile Brennstoffe gnadenlos vernichtet. Jim Croce unterhält uns mit „Time in a bottle“, Bernd hat sich in eine Sofaecke gekuschelt, liest den neuen Michael Crichton und kichert dabei die ganze Zeit, Hermann glotzt irgendeine blöde Show, und Willy steht in der Küche und fabriziert Eierpunsch. „Früher“, sagt Hermann, „früher wollten wir alle in den Himmel, heute wollen alle ins Fernsehen.“ – „Ich wollte nie in den Himmel“, widerspricht Bernd, „ich wollte immer Rockstar werden.“ – „Wo ist der Unterschied?“, fragt Hermann und wechselt den Kanal. Er landet bei einer BBC-Dokumentation über Stress beim Einkaufen. „Der Körper macht keinen Unterschied“, erklärt eine Stimme aus dem Off, „ob es sich um ein Kaufhaus handelt oder um einen Säbelzahntiger.“ – „So isses“, sagt Hermann, „diese Briten haben echt den Durchblick.“ Dann knallt Willy den Topf Eierpunsch auf den Tisch.

„Lecker“, sagt Hermann. „Badischer Riesling, selbst gemachter Eierlikör aus Ökoeiern und französischem Cognac, frisch gepresster Orangensaft und sonst nix“, offenbart uns Willy. „Götternektar“, meint Bernd.

Konscho kommt. „Tief vom Walde komm ich her …“, fängt er an, und Hermann fällt auf die Knie und bettelt: „Bitte, bitte, nicht weiter!“ – „Na gut“, sagt Konscho, nimmt sich einen Becher Eierpunsch, trinkt und sagt: „Wow!“ Dann erzählt er: „Also, ich geh mit Moni am See spazieren, und – wie ihr wisst – nerven sie uns seit Tagen mit: Das Eis ist noch zu dünn; Lebensgefahr; geht noch nicht aufs Eis. Im Radio, in der Zeitung, in der Glotze; überall und permanent. Trotzdem, der See ist voll mit Besserwissern. Wir gehen da also lang und plötzlich ein lautes Krachen. Genau auf unserer Höhe, in der Mitte des Sees, ist ein Schlittschuhläufer eingebrochen. Hängt da rum und kreischt: ‚Hilfe! Hilfe!‘ Und haste nicht gesehen, ist Moni schon auf dem Eis und will den Typ retten. Ich sofort hinterher, zieh sie zurück. Dann ruf ich die Feuerwehr an. Aber am gegenüberliegenden Ufer machen sich schon zwei Jungs an der Eisrettungsstation zu schaffen und sind kurz danach auf dem Weg. Als sie den Idioten im Boot haben, hören wir das erste Tatütata. Und ich streite mich immer noch mit Moni. Ich frage euch also: Muss man sein Leben riskieren, um einen Idioten zu retten?“

„Absaufen lassen“, sagt Hermann bestimmt. „Naja“, meint Willy, „der Idiot könnte dich sogar anzeigen, wegen unterlassener Hilfeleistung.“ – „Ich meine, wenn es ein Kind gewesen wäre … kein Problem“, erklärt Konscho, „aber dieser Depp wusste doch ganz genau …“ – „Suicidal tendencies“, sagt Hermann. „Genau das meine ich“, bestätigt Konscho und nimmt sich noch von dem Eierpunsch.

Die nächsten zwei Stunden reden wir über Helden und Idioten. Willy bringt einen neuen Topf, und wir beenden die Diskussion mit dem einstimmigen Ergebnis, dass es so etwas wie „Heldentum“ nicht gibt. Dann geht’s um Geschenke, und Hermann lallt die ganze Zeit etwas von „Säbelzahntigern“.

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