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harald fricke über Shopping Kauf! Mich! Jetzt!

Von den Wiesen aus früher Vorzeit ist es nur ein Katzensprung hinüber in die Fußgängerzonen dieser Welt

Der Mensch ist ein zweibeiniges Wesen, sein ganzes Menschsein hängt am aufrechten Gang. So in etwa hat es sich der deutsche Psychiater und Anthropologe Erwin Straus in den Dreißigerjahren vorgestellt. Denn erst indem er sich aufrichtet, kann der Mensch über seine Sinne frei verfügen. Plötzlich verschwindet all das Laub und Gestrüpp der Urwälder vor seinen Augen, der Blick reicht in die Ferne, das Ohr nimmt im weiten Umkreis Geräusche wahr. Damit verschafft der aufrechte Gang enorme Vorteile: Die Beute wird viel früher erkannt und der Feind ebenso. Statt sich am Pflock des Augenblicks um seine Existenz sorgen zu müssen, statt blitzartig vor den viel schnelleren Säbelzahntigern oder Bären fliehen zu müssen, denen er sonst hoffnungslos unterlegen wäre, kann der Mensch nun seinen Unterschlupf verlassen und auf die Lichtung ziehen. Hurra! Dort nascht er an Wiesenblumen, tollt Hänge hinab, baut mit anderen Menschen kleine Hütten – und erkennt plötzlich, dass er nackt ist. Dann geht er schnell was zum Anziehen einkaufen.

Halt, stopp, weit gefehlt, mein Freund! Dies ist kein Seminar für jungforsche Studenten der Phänomenologie, hier geht es um die harte Praxis des spätkapitalistischen Shoppens. Aber von den Wiesen aus früher Vorzeit ist es ja nur ein Katzensprung hinüber in die Fußgängerzonen und auf die Boulevards dieser Welt. Zwischen Ku’damm und Tauentzien in Berlin, dort, wo viele Jahre vor unserer Zeit gejagt und gesammelt wurde, sind Samstagvormittag alle unterwegs: Erst Gap, dann Mango, später kurz noch zu Nike-Town, die neuen, frechen Riot-Girl-Sneakers checken, und neuerdings auch zu Zara, dem spanischen Spezialisten für kostengünstig kopierte Designermode. Die Berliner City ist eine unendliche Anhäufung aus Schaufenstern und Auslagen mit jugendlichen Gesichtern, die einem wie auf einer ganzjährig frohgestimmten Love Parade entgegenschreien: Kauf! Mich! Jetzt! Vom Pulli bis zur Hose, versteht sich.

Leider ähneln sich die Dinge, die da Planquadrat auf Planquadrat aneinander gereiht sind, am Ende sehr. Der metallen glänzende Jeanslook ist in fast allen Läden gleich, altrosa als Trendfarbe für Herbstblusen auch, und die Röcke, die aussehen, als hätte ein tapferes Schneiderlein Omas Sofabezüge zu grifffesten Säcken umgenäht, unterscheiden sich von Kookai bis H&M nur in der Höhe des Preises. All die Lust an der Differenz, die einmal als Inbegriff der Jugend galt, löst sich in einem wohlgefälligen Gemisch aus drei, vier Pastelltönen auf. Die Farbkombinationen mögen wechseln, der Eindruck bleibt: Outfits sind nicht mehr Gegensatz zum, sondern Vorbereitung auf den Einheitslook der grauen Anzüge und Kostüme.

Wer noch nach Distinktion sucht, schaut auf das Label – nicht wegen der Marke, sondern wegen des Produktionsstandortes. Denn das zumindest haben mündige KonsumentInnen von Naomi Kleins Gegen-Branding-Bibel „No Logo“ gelernt: Wo Asien als Herkunftsland draufsteht, ist viel Sweatshop drin. Noch immer sind die Löhne unfassbar, die Klein aufgelistet hat. Wenn ich lese, dass „Esprit Label“ bei der chinesischen You Li Fashion Factory produzieren lässt, deren Arbeiterinnen in 93-Stundenwochen-Schichten 13 Cents pro Stunde erhalten, dann möchte ich am liebsten alles niederbrennen, was nach Teenfashion aussieht. In den Geschäften stehen derweil 18-jährige Verkäuferinnen, die nur vorrangig wegen ihres Alters angeheuert worden sind. Dass Gleiche an Gleiche verkaufen, ist kein Triumph der Zielgruppe, sondern Kalkulation – mehr als ein McJob ist für die kaum erwachsenen Polinnen nicht drin, die sich für wenig Geld den Tag lang die Füße in den Bauch stehen. Deshalb scheinen auch die schrankwandbreiten Bodyguards, die die Ausgänge von Gap oder Nike bewachen, nicht so sehr Kaufhausdiebe oder gar Anti-Sweatshop-DemonstrantInnen abschrecken zu müssen. Sie sehen eher aus, als sollten sie die jungen Sklavinnen an den Kassen daran hindern, ihren schlecht bezahlten Job einfach hinzuschmeißen.

Nach einer Weile Windowshopping am Ku’damm ist aus den prächtigen, großflächigen Arrangements der Accessoires, Parfüms und Kleider wieder ein bedrohlicher Dschungel geworden. Der Säbelzahntiger hat seinen Firmensitz in New York, London oder Frankfurt. Doch der Zweibeiner rennt nicht davon, wie er es vor 10.000 Jahren vermutlich getan hätte; und er greift auch nicht nach einem Faustkeil, um zu kämpfen. Stattdessen wartet er erschöpft mit zig Plastiktüten bepackt auf den Bus, der ihn nach Hause bringt. In den Wohnblock, nicht auf die Wiese.

Fragen zu Shopping?kolumne@taz.de

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