harald fricke über Shopping : Avantgarde der Anbiederung
Werbegeschenke werden immer aggressiver an die Leute gebracht. Aber niemand regt sich auf, alle greifen zu
Die Werber von Vodafone sind unterwegs. Im ICE von Berlin nach Wolfsburg, morgens um neun Uhr. Sie tragen rote Hemden zu durchschnittsschwarzen Hosen, sie ziehen einen Karren durch den Gang, und sie verteilen Geschenke. „Möchten Sie einen Notizblock, vielleicht?“, fragt eine junge Frau die Reihen der Fahrgäste durch, während ihr Kollege Aufkleber der Telefonfirma verteilt.
Dreister geht’s nicht: In einem Zug, der eine Stunde lang ohne Stopp fährt, ist jeder Reisende dem Promotionwirbel ausgeliefert. Wie sollte man dieser Avantgarde der Anbiederung auch ausweichen? Notbremse ziehen und aus dem Fenster springen? Sich in der Toilette verbarrikadieren? Doch da ist der Schaffner vor, in beiden Fällen.
So sitzt man mitten in der Falle des modernen Marketings, harrt aus bis Wolfsburg und wundert sich nur: Kein Passagier regt sich auf, niemand im voll besetzten Großwagen beschwert sich über die aufdringliche Werbekampagne. Selbst hektisch in ihre Laptops hackende Geschäftsmänner, die jeden Lennon-Songs krähenden U-Bahn-Musiker am liebsten von schwarzen Sheriffs abholen lassen würden, bedanken sich artig bei den Rattenfängern in Schwarzrot für ihr läppisches Geschenk.
Wahrscheinlich haben sie alle nur höllischen Respekt vor dem größten Mobilfunkunternehmen der Welt. Denn dessen Klappern gehört zum Geschäft. Anders aber als der umherziehende Musikant, der sich für sein Liedgutgejohle ein bisschen Aufmerksamkeit und ein paar Märker wünscht, geht es der Firmenwerbung tatsächlich um die vollständige Durchdringung der Gesellschaft.
Diese Schlacht um den öffentlich sichtbaren Status ansonsten sozial eher unverbindlicher Produkte hat die Corporate Culture bereits gewonnen. Ohne Bedenken lassen sich selbst überzeugte Nichtraucher stangenweise Zigaretten zustecken, wenn irgendein Promo-Team von Philipp Morris wieder einmal in ihrer Stammkneipe über sie herfällt. Man weiß ja nie, wozu so ein paar Kippen noch gut sind. Jedes Mätzchen wird mitgemacht, wenn die Marke nur mächtig genug ist: Lomografische Fotos für einen Werbefeldzug von Eon? Kein Problem! Luftballons aufblasen für den Frieden mit Microsoft? Wird sofort erledigt! Einige persönliche Daten für die Computerauswertung des Bertelsmann-Buchclubs? Das ist doch fast schon eines jeden Bürgers Pflicht!
Von Brecht stammt der Satz: „Was ist schon der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Konzerne schaffen sich ihren Zugriff auf Öffentlichkeit kaum anders. Und so erinnern immer mehr Werbemaßnahmen an hochoffizielle Staatsakte. In New York hat zum Beispiel das Disney-Unternehmen einen ganzen Straßenzug absperren lassen, als vor ein paar Jahren der Film „Hercules“ in den US-Kinos anlief. Damals wurden sämtliche Anwohner zwischen Fifth Avenue und Times Square aufgefordert, ihre Geschäfte und Wohnungen zu verdunkeln, damit beleuchtete Umzugswagen mit den entsprechenden Comicfiguren wie ein wandelndes Feuerwerk durch die 42nd Street ziehen konnten. Das Ereignis wurde am nächsten Tag auf fast allen Fernsehkanälen übertragen: Plötzlich mutierte das ehemalige Sex- und Drogenzentrum mitten in Manhattan in eine bunte Werbekulisse für den familienfreundlichen Zeichentrickfilm.
Solche drastischen Nepper-Schlepper-Straßenfeger-Methoden hat in Deutschland bislang noch keine Firma benutzt. Aber die Zeichen mehren sich im Stadtraum: Auf Bahnhöfen wehen einem reichsparteitagsgroße Flaggen entgegen, auf denen schläfrige Teenager neue Trendgetränke in sich hineinblubbern; zeltartige Banner leuchten an renovierungsbedürftigen Gebäuden wie überdimensionale Targets auf der Suche nach der Zielgruppe; und „Vodafone“ steht auf einem Baugerüst zwischen Alexanderplatz und Jannowitzbrücke, das von einer roten Bauchbinde mit rundem weißen Logo geschmückt wird.
Erst wenn man direkt vor der Baustelle steht, kann man als Grund für die farbenintensive Verhüllung lesen, dass der Telefonriese an der Renovierung des Stadthauses finanziell beteiligt ist. Früher dagegen hatte so gut wie jeder Bauzaun ein schon von weitem aggressiv gelb leuchtendes Schild mit dem Hinweis: Zettel ankleben verboten! Und eine andere Warnung lautete: Eltern haften für ihre Kinder! Von heutigen Multis kann man das sicher nicht behaupten.
Fragen zu Shopping?kolumne@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen