harald fricke über Shopping: Street-Kapitalismus statt Folklore
Früher verkauften Afrikaner in Rom Figuren aus falschem Elfenbein. Jetzt gehen nur noch illegal gebrannte CDs
Wir sitzen in Rom, es gibt Nudeln und auf die Nudeln einen Bitter. Nachdem der Amaro ausgetrunken ist, fängt mein Gegenüber zu schwärmen an. Schön ist es hier, hier sollte man bleiben. Doch der Italienaufenthalt wird nicht von Dauer sein: Er ist als Künstler vom Goethe-Institut für eine Ausstellung über deutsche Kunst eingeladen worden, ich bin zu Besuch mitgereist – einen Korrespondenten hat die taz ja schon vor Ort. Was also könnte weiterhelfen?
Der richtige Einfall kommt beim zweiten Bitter: „Ist doch völlig klar, man muss eine Wurstbude aufmachen!“ Schnell sind wir einig, schließlich hat man als Berliner Erfahrung mit Würsten, Konnopke am Prenzlauer Berg ist legendär, Curry und Pommes rotweiß, da kennt man sich aus. Zudem sind die Variationen endlos, wenn man darüber nachdenkt: Es gibt Wiener, Thüringer, Nürnberger, Breslauer, Knacker – praktisch alles, was du willst. Vielleicht kann man sogar Buletten mit ins Programm nehmen und Schaschlik. In Rom findet ihr typisch deutsche Imbisse nirgendwo in der Stadt, wie uns ein italienischer Bekannter, der ein paar Wochen in Berlin auf Stipendium war, gleich ermuntert und drei neue Amaro bestellt.
Jetzt kommt es bloß noch auf die Vermarktung an. Natürlich braucht das Unternehmen einen einheitlichen Dress, weiße Schürzen, eine Schiebermütze, einen griffigen Namen und eine ansehnliche Wurst als Logo. Irgendwas im Stil der Fünfzigerjahre, das schafft Verbindlichkeit und bürgt für Kompetenz in Sachen deutsche Wurst. Außerdem könnte man mobile Wurststationen, Leute mit umgehängten Brüh- und Brätkästen engagieren, die sind auch in Berlin am Alexanderplatz eine Attraktion für Touristen aus aller Welt. Am besten, man startet mit einem Team von zehn bis fünfzehn Angestellten und baut dann aus, wenn sich der Erfolg abzeichnet. Keine Frage, wir haben das perfekte Marketingkonzept für Rom gefunden: „Ja, super, und bestell noch mal Amaro, ist total lecker, das Zeug“, brülle ich meinem italienischen Begleiter herüber, der die meiste Zeit schweigend zugehört hat, während wir völlig berauscht sind von der Unternehmensplanung.
Vor lauter Begeisterung über unsere absolut bombensichere Geschäftsidee haben wir die fliegenden Händler gar nicht bemerkt. Erst war ein Mann in einem afrikanischen Kaftan an unserem Tisch, der raubkopierte CDs anbot. Danach kam ein Rosenverkäufer; und zuletzt war noch ein asiatischer Bauchhändler mit Feuerzeugen in Tigerdesign unterwegs, der gar nicht erst zu uns kam, als er sah, dass wir Deutsche sind. Komischerweise scheint keiner von ihnen groß was umgesetzt zu haben an diesem Abend. Aber vermutlich sind ihre Produkte nicht so aufregend, kein Vergleich jedenfalls mit unseren Würsten.
Sind wir bloß dumm oder schon blau? Was wir uns in der vergangenen halben Stunde ausgemalt haben, ist eine Kneipenfantasie von Leuten, die glauben, das sich der Rest der Welt nichts so sehnlich wünscht wie ihren Lebensstil. Doch wenn die Römer tatsächlich Interesse an Grillwurst, an fetttriefenden Pommes Frites oder Majonäse hätten, gäbe es längst Buden, an denen man solcherlei Schweinereien kaufen könnte. Haben sie aber nicht, ihnen reicht die schnelle Pizza auf die Hand. Was in Berlin als lokalpatriotische Fresskultur durchgeht, hat in Italien nicht einmal den Reiz des Obskuren. Wenn er als Römer wirklich nach gutdeutscher Art Wurst essen wollte, ergänzt nun unser landeskundiger Freund, dann doch in dem dazugehörigen Ambiente – am Bahnhof Zoo und nicht vor dem Kolosseum.
Diese trübe Erkenntnis werden wohl auch die Händler gehabt haben. Vorbei sind die Zeiten, da man Afrikaner in Rom und anderswo falsche Elfenbeinfiguren oder stammesmäßigen Lederschmuck verkaufen sah. Was vormals stellvertretend für eine fremde Welt stand, hat seinen Markt verloren, weil man heutzutage Wert auf das authentische Umfeld legt. Wenn schon Maskenimitate, dann aber bitte direkt am Stand in Lagos. Ansonsten ist alles Fremde in der Fremde lediglich … fremd.
Deshalb haben Afrikaner und Asiaten im Zuge ihrer Migration umgesattelt – von Folklore auf gängige Konsumartikel und Allerweltsnippes. Damit stehen sie wiederum für eine wahre Ökonomie von unten. Unabhängig vom globalen Import-Export-Netz bieten sie feil, was ihnen auf dem Weg vom Rand in die Zentren an Waren geblieben ist; Dinge, die hier wie dort doch nur eines sind: Überfluss. Andererseits kann man sich in Rom wie in Berlin für diskoflimmernde Tischfeuerzeuge erwärmen, kann Solidarität mit den Händlern zeigen, indem man eine Rose kauft. Und die illegal gebrannten CDs sind vor allem zwei Drittel billiger als in den Geschäften. Bei solch harter Konkurrenz im Street-Kapitalismus werden wir mit unserer Wurst aus Deutschland kaum mithalten können. Nicht in Rom und auch nicht anderswo.
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