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Archiv-Artikel

harald fricke über Märkte Ich wär gern ein Stones-Fan geworden

Mit Jagger und Richards ist das wie mit Opel. Auch ein Vectra verbietet sich aus ästhetischen Gründen

Ich wäre so gerne ein Rolling-Stones-Fan geworden, 1976 zum Beispiel. Damals besaß Andreas, der als Sitzenbleiber die Quarta wiederholen musste, das Doppelalbum „Rolled Gold“ mit den Hits der Sechziger: Lady Jane, Midnight Rambler, Gimme Shelter, natürlich Satisfaction. Andreas war es auch, der Pornohefte mit in die Schule brachte und unter der Schulbank durchblätterte. Außer Andreas hatte nie jemand Pornos im Unterricht dabei. Dann blieb er noch mal sitzen und musste auf die Realschule.

Auch im folgenden Jahr wäre ich so gerne ein Rolling-Stones-Fan geworden. Michael hatte das Album „Black and Blue“ und eine jüngere Schwester. Wenn wir uns nachmittags trafen, ließ er meistens die Rollos herunter, dann legte er die Seite mit Hot Stuff auf, fing an, mit seiner Freundin zu knutschen, und bei Memory Motel waren beide am Fummeln und am Stöhnen. Seine Schwester konnte nicht so viel mit mir anfangen, außerdem hörte sie lieber Stevie Wonder und hatte bald was mit einem drei Jahre älteren Hippie, der Hasch mitbrachte und Keith Jarretts „Köln Concert“ auf Cassette. Danach wollte ich nicht mehr Rolling-Stones-Fan werden.

Die Gleichgültigkeit hat sich bei mir bis heute gehalten. Wenn sich überall um mich herum die Leute vor Begeisterung überschlagen, weil die „Forty Licks“-Tour in München beginnt, dann denke ich nicht an die vielen Menschen, die I know it’s only rock ’n’ roll but I like it mitsingen, bei You can’t always get what you want Feuerzeuge aus der Tasche holen und bei Jumpin’ Jack Flash ein Foto von Mick Jagger mit ihrem Vodafone-Handy machen, zur Erinnerung.

Stattdessen sehe ich ein Tourplakat, auf dem rote Lippen, rosa Schlüpfer, vergilbte BHs und ein verzinkter Mülleimer zu einer Collage montiert wurden. Das Poster sieht aus wie ein Jeff-Koons-Druck, wurde aber in einem deutschen Grafikbüro am Computer zusammengepastet. Warum den Stones der Abklatschpop als Werbung gereicht hat, wo sie doch von Koons schon aus Publicity-Gründen sicher umsonst einen Originalentwurf hätten haben können, weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben sich Jagger/Richards bloß gedacht: Immer noch besser als die Gemälde von Ron Wood.

Danach stelle ich mir noch ein paar Fußballstadien voll Fans vor, die das T-Shirt der letzten Tour (mit dem Löwen oder der Zunge oder was das war) tragen und sich am Merchandise-Stand mit dem T-Shirt der aktuellen Tour eingedeckt haben, für die Zeit bis zur nächsten Tour. Viele von ihnen sind Mitglied im Rolling-Stones-Club. Das erkennt man an der Mütze, die ein exklusives Geschenk war, schließlich liegt der Clubbeitrag bei mindestens 50 Dollar im Jahr. Die Mütze hat steife Falten, weil sie erst vor ein, zwei Wochen mit der Post geliefert wurde und weil die Träger wollen, dass man sieht, wie neu, wie frisch das gute Stück aussieht, das sie erst Minuten vor dem Konzertabend aus der Einschweißfolie genommen haben.

Ungefähr 27.000 Menschen tragen diese Mütze, wenn die Rolling Stones am 13. Juni in Oberhausen spielen. Das Konzert findet im „O.Vision Zukunftspark“ statt, hinter dem Mercedes-Vertragshändler immer geradeaus. Alle halbe Stunde sendet der WDR schon am Morgen Verkehrshinweise, dass der Ruhrgebiets-Verkehrsverbund Sonder-S-Bahnen einsetzt, damit nicht alle mit dem Auto kommen. So viel Platz haben auch die zirka 300 Parkdecks rund um das CentrO-Shoppingcenter nicht.

In Hamburg spielen die Rolling Stones am 24. 7. im Volksparkstadion, das jetzt AOL-Arena heißt. Der Service ist hervorragend, Uwe Seeler hat das Cateringpersonal persönlich ausgesucht, und die Logistik stimmt ebenfalls. In der V.I.P.-Lounge dürfen die Fans mit dem Premium-Pass zu 95 Dollar gemeinsam mit CDU-Bürgermeister Ole von Beust oder mit Boris Becker ein Glas Freixenet zur Einstimmung auf das Konzert trinken, und selbst von den unteren Rängen in der Nordkurve aus sind die gut sichtbar ausgeschilderten Toiletten innerhalb von vier, fünf Minuten zu erreichen. Wer pinkeln muss, verpasst höchstens einen Song.

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich wäre wirklich gerne ein Fan der Rolling Stones geworden. Dass es nicht geklappt hat, liegt nicht an Mick Jagger, der mich mit Wild Horses fast rumgekriegt hätte. In meiner Jugend war ich ganz einfach noch nicht alt genug für die Stones.

Heute möchte ich nicht mit ihnen alt werden. Vielleicht ist es wie mit Opels: An den Diplomat kann ich mich zwar noch gut erinnern, aber einen Vectra würde ich mir nicht kaufen, schon aus ästhetischen Gründen. Am schlimmsten sind aber Opel-Fans, die sich nicht entscheiden können, ob sie lieber einen Jahreswagen kaufen oder den neuen Signum leasen sollen. Heute Abend treffen sie sich bei den Rolling Stones.

Fragen zu Märkten? kolumne@taz.de