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harald fricke über MärkteKunst im Ausnahmezustand

Im Herbst schlüpfen frisch gebügelte Galeristen aus ihren Büros und verbreiten den Schimmer des Besonderen

Das ganze Jahr über sitzt er in seinem Büro. Still ordnet er die Post, trinkt abgestandenen Kaffee, starrt auf die Bilder an den Wänden und wartet, dass etwas geschieht. Vielleicht kommt ein Sammler vorbei, verliebt sich in das Gemälde mit dem Hochhaus drauf oder fragt, ob es noch Zeichnungen von Soundso gibt, die hat er in einer Ausstellung in München gesehen, ganz fabelhaft. Aber der Preis ist dann doch zu hoch, und der Sammler zieht weiter, in die nächste Galerie, es gibt ja genug davon in der Kunststadt Berlin. Gezählt werden sie nicht mehr, geschätzt sind es weit über 200. So vergehen die Tage des Galeristen: Zäh und beharrlich setzt er auf poppige Malerei, sperrige Installationen und Fotografien von Wohnsiedlungen, die irgendwann einmal das Apartment eines neureichen Computerunternehmers zieren sollen. Vielleicht wird aus diesem oder jenem Ladenhüter am Ende noch ein Star.

Nur im September spielt der Kunstbetrieb in Berlin eine Woche lang verrückt, und eineinhalb Monate später in Köln noch einmal. Zur „artforum“-Messe und zur „art cologne“ werden all die Dinge, die sich im Galerielager angesammelt haben, in Kisten verpackt und in die Ausstellungshallen geschleppt; werden Anzüge aufgebügelt und Tische in teuren Restaurants bestellt, an denen man abends mögliche Kunden aus fernen Ländern aushält. Die Erwartungen sind groß, das Herz schlägt schneller, Bargeld winkt. Nach drei, vier Tagen ist das Geschäft gelaufen, hier und da wurden ein paar Arbeiten verkauft, wenn es gut geht, reicht der Umsatz für die Standmiete. Plusminusnull gilt bereits als ein Erfolg. Denn der Markt kriselt seit ein paar Jahren. Jeder Galerist weiß, dass es nicht gut läuft. Deshalb macht auch jeder schon zwei Tage vor Messeschluss Pläne für das nächste Jahr.

Für den Laien sind diese Rituale nicht leicht zu durchschauen. Dass es für Kunst Messen gibt, auf denen Galerien wie Marktstände miteinander konkurrieren, ist ihm fremd. Malerei und Skulpturen sieht er in Museen, da ist die Kunst ein ehrbarer Gegenstand, den man staunend betrachtet. Auf der Messe allerdings ist jedes von Beuys gestempelte Blatt Papier und jeder Picasso-Druck kein Kleinod, sondern bloß Ware – flach an der Wand oder auf einem weiß gestrichenen Sockel in der Ecke.

Wie alle Kultur ist Kunst ein Produkt, Teil einer behäbigen Industrie, unter deren Auswirkungen Adorno und Horkheimer schwer gelitten hatten. Wahres Leben, falsches Bewusstsein, während der Messe sieht die Realität der Kunst nach Handel aus: 4.500 Künstler werden von 120 Galerien aus über 30 Ländern auf dem Berliner artforum zum Verkauf angeboten. Genie und individuelles Streben, zutiefst innerer Wahnsinn womöglich, das stellt man sich anders vor. Selbst die psychedelischen Kritzeleien eines Henri Michaux wirken im Fach eines Aktenschranks zwischen Infoblättern, Preislisten und Presseclips nicht mehr wie geheime Pläne einer im Künstlerkopf erträumten Weltrevolution. All die Fantasien haben eine Währung, die sie einander angleicht: Euro oder Dollar, zuzüglich Mehrwertsteuer, auf Anfrage auch gerahmt.

Eine Kluft bleibt trotzdem. Anders als alle anderen Verkaufsveranstaltungen setzt sich eine Kunstmesse aus unendlich vielen Unikaten zusammen. Wer zur bautec geht, sucht nicht nach der einzelnen, kostbaren Gehwegplatte, er will hoch qualitativen Waschbeton, aber in Massen. Überall sonst ist die angebotene Produktpalette ein Stellvertreter für den Bestand auf Lager. In der Kunst jedoch wäre man vermutlich schockiert, wenn zu dem einen abstrakten Jonathan-Lasker-Gemälde noch vier Dutzend identische Bilder unter dem Verkaufstresen bereitliegen würden. Schließlich wird die Qualität der Kunst selbst in Zeiten endlos reproduzierbarer Images an ihrer Einmaligkeit festgemacht. Da mögen zahllose Videos immer wieder triste Normalität in tristen Stadtparks zeigen, da können Axel Hütte und Walter Niedermayer ihre Fotos in den selben weißen Alpen knipsen – am Ende wiegt die Differenz zwischen Zeitlupen, Gegenlicht oder dekorativen Nebelschwaden mehr als alle Motorblöcke, Kopfstützen und Chassis-Lackierungen, an denen man auf Automessen die feinen Unterschiede im Sortiment von BMW bis Lancia festmachen kann.

Dafür gibt es kein Gesetz, das ist eine Glaubenssache. Offenbar wird Kunst noch immer geliebt, weil man sich von ihr einen Schimmer des Besonderen erwartet: Nichts soll vergleichbar sein. Insofern ist das Geheimnis der dazugehörigen Messen doppelt gestrickt. Man kann in ein Gegenuniversum zur Warenwelt eintauchen und ist dennoch von lauter Produkten umgeben. Die Kunstmesse ist ein Ausnahmezustand zur Normalität der Museen, die jedes einzelne Werk als echte Rarität präsentieren. Auf der Messe sind all die ausgestellten Kunstwerke dagegen gleich verschieden. Von dieser Gewissheit versucht auch der Galerist an seinem Schreibtisch den Rest des Jahres zu leben.

Fragen zu Märkten?kolumne@taz.de

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