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hamburger szeneDie erstaunliche Freundlichkeit des Finanzamts

Manchmal telefoniere ich mit dem Finanzamt Hamburg-Altona. Die Gründe sind immer die gleichen: zu spät eingereichte Steuererklärungen und kürzlich wollte ich fragen, ob ich meine Steuern auch in Raten zahlen könnte. Das Problem liegt sehr eindeutig bei mir, die Macht liegt sehr eindeutig beim Finanzamt. Natürlich gibt es dieses Gefälle auch anderswo: Wenn man bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft anruft und fragt, warum man noch nie einen Besichtigungstermin bekommen hat. Wenn man bei der Sprechstundenhilfe, die die Termine für die Kas­sen­pa­ti­en­t:in­nen vergibt, fragt, ob es noch vor Herbst klappen könnte. Kein Mangel also an Gelegenheiten zu Erfahrungen von Abhängigkeit. Aber niemand, in Worten: Niemand, ist so freundlich wie das Finanzamt-Altona. Dabei spricht fast alles dagegen.

Zumindest dem Klischee nach ist die Arbeit als Finanzbeamter keine, die gute Laune verspricht. Die Kundschaft? Potentiell auf der Zinne, weil sie es falsch findet, dass man das Surfbrett nur halb absetzen kann und das Steuerzahlen ganz grundsätzlich fragwürdig. Wirksamkeitserfahrung? Möglich, aber eher abstrakt. Gesellschaftlicher Status: siehe oben. Dennoch sind die Anrufe dort sonderbar tröstlich. Einmal war mein Konto gepfändet worden, ohne dass ich es begriffen hätte. Als ich beim Finanzamt anrief, erklärte mir der Mitarbeiter, was eigentlich passiert war.

Ich war überrascht und beschämt zugleich. „Es kommt plötzlich“, murmelte ich. „Die Kollegen sind da aber auch sehr schnell“, sagte der Finanzamtsmitarbeiter. Er sagte etwas in der Art, dass man das auch langsamer handhaben könne. Vielleicht ist es ungerecht, aber ich habe nie vergessen, wie ein Kollege mich wegschickte, als ich seine Unterschrift für eine Kostenerstattung brauchte. Er hatte nichts zu tun, so schien es zumindest, aber er hatte die Macht, mich wegzuscheuchen wie eine Fliege. Das Altonaer Finanzamt weiß aus unerfindlichen Gründen mehr über die Traurigkeit der Beschämung. Sonderbar, Grazie gerade dort zu finden, aber vielleicht ist es nur dumm, darüber überrascht zu sein.

Die Anrufe beim Finanzamt bleiben für mich trotz seiner Freundlichkeit herausfordernd. Im Frühjahr musste ich anrufen, weil ich eineinhalb taz-Gehälter nachzahlen musste, nachdem ich die Steuererklärung für ein Jahr vergessen hatte, in dem ich einen gut bezahlten Nebenjob hatte. Das Finanzamt hatte meine Nebeneinkünfte daraufhin veranschlagt, aber, so sagte der Finanzbeamte, das könnte ich noch korrigieren. „Vielleicht können Sie ja haushaltsnahe Dienstleistungen angeben“, sagte er. Es klang nach einem Heer von Gärtnern, die ich in meinen Parks beschäftigte und tatsächlich habe ich nicht mal weniger Glamouröses in meinem Haushalt abzusetzen. Aber es war tröstlich, dass der Finanzmensch tatsächlich versuchte, mir zu helfen.

Auch der neue Finanzbescheid war zu hoch für mich, um ihn auf einmal zu zahlen. Aber weil das Amt statt meiner schriftlichen Erklärung eine digitale wollte, war meine Bitte um Ratenzahlung untergegangen. Also musste ich noch einmal anrufen. „Ich gebe Ihnen die Nummer der Einziehungsstelle“, sagte der Beamte, er sei da leider nicht zuständig. Die Einziehungsstelle war nicht grob, aber weit entfernt von freundlich. Die Idee einer Ratenzahlung fand der Beamte nicht naheliegend. „Wer hat Sie an mich verwiesen?“, fragte er. „Herr X“, sagte ich, den Namen kenne ich inzwischen gut. „Dann meinetwegen“, sagte der Einziehungsbeamte und wies mich darauf hin, dass ich trotzdem Gebühren zahlen müsse. Es gibt mürrische Gnade und freundliche Gnade, und die freundliche Gnade lebt nur im Altonaer Finanzamt.

Sonderbar, Grazie gerade dort zu finden, aber vielleicht ist es nur dumm, darüber überrascht zu sein

Einmal habe ich dort nachgefragt, wie es sein könne, dass die Mit­ar­bei­te­r:in­nen so freundlich sind. Natürlich wussten sie keine Antwort darauf, weil sie nicht ahnen, dass es dort draußen Mächtige gibt ganz ohne Güte.

Friederike Gräff

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