hamburger szene von andrea Scharpen: Untätige Sicherheitsleute
Eine Frau lehnt sich an die Schulter ihres Begleiters. Sie gähnt. Es ist kurz nach zwei, Samstagnacht. Am Hauptbahnhof ist nicht viel los. Die Wartenden wollen nach Hause. Am Ende des Gleises steht ein halbes Dutzend Sicherheitsmänner der Bahn in neongelben Westen über den blauen Uniformen. Mit grimmiger Miene beobachten sie die ein- und aussteigenden Fahrgäste. Die S3 Richtung Neugraben fährt ein. Die Türen sind noch nicht ganz auf, da drängt sich schon ein betrunkener junger Mann hindurch – und rutscht ab.
Bis zur Hüfte steckt er im Spalt zwischen S-Bahn und Bahnsteig. Sein ganzes Bein ist da reingerutscht. Zwei Männer eilen ihm zu Hilfe, ziehen ihn heraus. Da fängt der Typ an zu schreien. „Kurwa Deutsche Bahn“, brüllt er. „Kurwa“– das polnische Wort für Hure.
Dann torkelt er an die Fenster der S-Bahn. Die Wartenden auf dem Bahnsteig starren ihn an. Durch die Scheiben ist zu sehen, dass in einem Viererabteil alles von ihm vollgeschmiert ist. Keine Graffiti oder Namenszüge, sondern wütendes Gekrakel. An den Fenstern und auf den blauen Polstern.
Der Typ zieht unbeholfen seinen schwarzen Filzstift aus seiner Jeans hervor. Er schaut sich wie in Zeitlupe nach links und rechts um – wie in einem schlechten Film. Dann setzt er seinen unleserlichen Schriftzug auch auf die rote Außenfläche der Bahn. Niemand versucht ihn zu stoppen.
Ob die Sicherheitsleute gleich über den Bahnsteig rennen und der Besoffene die Schlägerei bekommt, nach der er so offensichtlich sucht? Schließlich waren die Wachleute eben noch nur eine paar Wagenlängen entfernt und der Mann beschimpft ihren Arbeitgeber weiter als liederliches Flittchen, während er in Richtung Rolltreppe schwankt. Doch nichts passiert. Von den Sicherheitsleuten ist weit und breit nichts zu sehen. Da laufen sie schon in Wochenendstärke am Bahnhof auf – und halten sich dann doch aus dem größten Spektakel einfach raus.
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