hamburg am Sonntag : Als wäre nichts gewesen
Der japanische Meister Shodo Harada Roshi spricht über Zen im Alltag
Der Alltag ist ein Geschöpf des Grauens. Man denke sich, dieser ewige Trott der Dinge! Morgens aufstehen, benommen, auf den Lippen den Fluch auf den Wecker, in die Küche taumeln, Kaffee aufsetzen oder Tee, und wenn du ihn einschenkst, die Kanne über der Tasse, sagst du dir: aufgepasst – und kannst es trotzdem nicht verhindern, dass zwei, drei Tropfen an der Tülle hinunter rinnen, Tag für Tag. So ist das, und es ist schrecklich. Denn jeder Versuch, dem Alltag zu entkommen, mündet wieder in ihn. Selbst die permanente Flucht ist, recht bedacht, ein Synonym für den Alltag, und das ist vielleicht seine witzigste Rache an allen, die ihn fliehen.
Und nun der Zen. Eine ganz und gar bodenständige Disziplin, eine weltliche Praxis, keine Religion, in China konzipiert und in äußerster Ferne zum fantastischen, ziselierten Denken des indischen Kulturraums. Was gehen uns die Götter an, sagt der Zen, was die Gesetze, was die Kasten. Zen sagt: Du musst dein Leben ändern, hier und jetzt, und das heißt nichts anderes als: das Monster Alltag zu bemeistern. Jeder kann’s. Wenn er nur will. Aber wie? Das geschieht, von einen Tag auf den anderen, einfach so, wenn du am wenigsten damit rechnest, wenn du gerade eine Socke vom Boden aufhebst, oder den öligen Teller ins Spülbecken tauchst, also mitten im Alltag. Und dann? Machst du am besten kein Aufhebens davon, das heißt dein Leben geht weiter, als wäre nichts gewesen. Du wirst weiter in die Küche taumeln, Kaffee aufsetzen oder Tee, und wenn du ihn einschenkst, die Kanne über der Tasse, sagst du dir: aufgepasst – und kannst es trotzdem nicht verhindern, dass zwei, drei Tropfen an der Tülle hinunterrinnen, Tag für Tag. So ist das, und es ist gut. MAXIMILIAN PROBST
Museum für Völkerkunde, 15 Uhr