großraumdisco: Verlieben ohne Internet: Zu Besuch bei einem Dating-Event in Hamburg
Beim neuen Dating-Format „Love at First Slide“ lassen sich Singles von ihren besten Freund:innen vorstellen – mit einer Powerpointpräsentation
Auf die Zwiebeln in meinem Dürüm verzichte ich lieber. Bloß nicht negativ auffallen heute inmitten des hoffnungsvollen Publikums. Kann ja sein, dass ich Zeugin einer großen Liebesgeschichte werde, über die noch Jahre später auf Familienfeiern gelacht wird. Auf die Statistenrolle „Sitznachbarin mit Mundgeruch“ kann ich darin gut verzichten. Mein Essen sabotiert mich trotzdem: Noch bevor ich aus der Bahn steige, läuft die Sesamsoße über meiner Jacke aus. Macht nichts – jemanden beeindrucken will ich nicht.
Für andere Besucher:innen der Hamburger Ausgabe des Dating-Events „Love at First Slide“ sieht das ganz anders aus. Sie sind Single und suchen hier nach einer Beziehung: per Powerpointpräsentation. Und mit Hilfe: Zehn Kandidat:innen werden nämlich von ihrem besten Freund oder ihrer besten Freundin vorgestellt
„Ich fühle mich wie auf einem Basar“, eröffnet eine von ihnen ihren Vortrag. Wer an ihrer Freundin – oder jemand anderem – interessiert ist, kann im Anschluss an die Präsentationen ins Gespräch kommen. Für die Schüchternen liegen pinke Kärtchen aus, die mit der Telefonnummer oder dem Instagram-Account beschrieben und heimlich weitergereicht werden können. Die Veranstaltungsidee ist beliebt. Das Hamburger Debüt ist trotz üppiger Preise – 20 Euro für die Zuschauer:innen – ausverkauft. Noch an der Tür müssen drei Männer ohne Eintrittskarte abgewiesen werden. Dabei hätte das Trio dem Geschlechterverhältnis gutgetan. Nur ein Bruchteil der insgesamt 150 Menschen scheint männlich. Beim Ticketkauf konnte ausgewählt werden, ob Interesse an Männern, Frauen oder allen Geschlechtern bestehe.
Im Saal öffnet eine Frau zwei Reihen vor mir die Dating-App Tinder. Wischt ein paar Mal nach links, kein Interesse. Sie macht den Bildschirm aus. Nicht mal eine Minute später: App öffnen. 25 Männer wegwischen. App schließen. Den Blick durch den Raum schweifen lassen. Die App wieder öffnen. Und täglich grüßt das Sixpack-Spiegelselfie. Erst die Moderatorin, Dragqueen Magnifick, kann sie aus ihrer Endlosschleife befreien: „Ich hoffe, dass ihr hier die Liebe eures Lebens findet!“ Die ersten Lacher des Abends. Ob das Publikum über die eigene Teilnahme an der Veranstaltung oder das von meiner Generation oft aufgegebene Konzept der „Liebe des Lebens“ lacht, bleibt offen.
Auch Magnifick stellt sich – na klar – mit einer Powerpoint vor und macht Werbung: das Magnus Hirschfeld Centrum, eine Anlaufstelle für queere Menschen, und den eigenen Instagram-Account. Zur Finanzierung ihrer Schuhsucht, scherzt sie. Dann fragt sie den Raum nach den schlimmsten Erlebnissen bei der Partner:innensuche. Das Gefühl, dass jede:r schon mal aufgeben wollte, zieht sich durch den Abend. Vielleicht ist es diese geteilte, selbstironische Verzweiflung, die die Powerpoints (meist) nicht peinlich macht. Alle scheinen genervt von den Apps, auf denen sich niemand festlegen will. Auch im echten Leben kommt es kaum zu romantischen Begegnungen. Sogar beim Schuster hätten die beiden Freundinnen Madita und Toni es deshalb schon versucht, verraten sie nach der Show. Schließlich müsse es auch Singles „mit normalen Berufen“ geben, hatte ihnen ihre vergebene Freundin Emily geraten. Der Ausflug blieb erfolglos.
Love at First Slide Das Kennenlernformat erfreut sich in diversen Städten großer Beliebtheit. 10 Kandidat:innen werden von in sechs minütigen Powepointpräsentationen vorgestellt und als Date beworben. Weiter geht‘s danach an der Bar.
Die drei stehen gleich doppelt auf der Bühne, sowohl Madita als auch Toni lassen sich vorstellen. Inspiration für ihre Folien haben sie bei RTL-Dating-Formaten gesucht. Die meisten der Präsentationen sind kreativ: Zwischen Pub-Quiz, Lückentexten, psychologischen Theorien und einer ganzen Menge Internetreferenzen kann schnell verstanden werden, auf welche Art Humor man sich einlassen würde. Fast alle achten darauf, genau ein „unvorteilhaftes“ Foto in Szene zu setzen. Beim Publikum kommen die Fotos mit Doppelkinn – oder, herrje, beim Joggen – super an. Trotzdem leert sich der Raum nach der Veranstaltung schnell. Etwa ein Drittel bleibt zurück, wagt erste Flirtversuche. Wer nicht fündig wurde, kann sein Liebesglück im nächsten Monat direkt erneut auf die Probe stellen.
Charlina Strelow
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