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großraumdiscoNadeln, Schmerzen und Frischhaltefolie

In den Hamburger Messehallen geht Tinte unter die Haut. Manche wissen vorher nicht mal, welches Motiv am Ende dabei herauskommt

In den großen Hallen ist es voll – von nackter Haut. Auf schwarzen Kunstlederliegen reihen sich Körper hinter­einander auf, so weit das Auge reicht. Manche Gesichter sind vor Schmerz zusammengekniffen, andere entspannt.

Immer wieder blitzen nackte Ober- und Unterkörper auch in der sich durch die Gänge ­drängenden Menge auf. Eingewickelt in Frischhaltefolie, wie frisches Bio-Gemüse im Supermarkt. Die glänzende Haut darunter ist leicht gerötet. Im Hintergrund ertönt ein rhythmisches Vibrieren, das mit dem dröhnenden Beat der Musik verschmilzt. Ein Pommesgeruch schwebt in der Luft, mischt sich mit dem von Bier.

Es sind die TattooTage, die für ein Wochenende weitläufigen Hamburger Messehallen füllen. Zum zweiten Mal finden sie nun in Hamburg statt. Etwa 75.000 Be­su­che­r:in­nen hat das Event über die Tage angelockt. Im Ticket inklusive ist zudem eine Motorradmesse, die sich auf der anderen Seite des Messegeländes erstreckt.

Auf der großen Bühne am Ende der Halle hat gerade ein Contest begonnen. Vier Ju­ro­r:in­nen sitzen dort, ein Mo­derator ruft die Namen der Teil­nehmenden auf. Eine Person nach der anderen betritt die Bühne und streckt der Jury frisch tätowierte Körperstellen entgegen: Oberarm, Knie, ­Knöchel – jedes Motiv wird für etwa fünf Sekunden begutachtet.

Gerade werden nominierte Tattoos der Kategorie „Best of Small“ präsentiert. Später folgen „Best of Lettering“ und „Best of Traditional“. Eine Regel gilt für alle: Die Tattoos müssen zu mindestens 50 Prozent hier und heute gestochen worden sein. Zum Gewinn gibt es einen Pokal.

Ein Mann namens Tobi steht jetzt vorne, lässt seine Hose ­herunter. Auf der Leinwand erscheint sein Po in Großaufnahme. „Was ist das eigentlich für ein Motiv?“, fragt eine junge Frau ihre Freundin, die das ­Spektakel vom Stehtisch aus ­beobachtet. „Sieht aus wie der fliegende Patrick aus Spongebob“, antwortet die andere. Und tatsächlich ist er das: der Seestern aus der Zeichentrickserie. Nackt gleitet er an einer Fahne durch den Wind.

Bei den TattooTagen wird gestochen, was das Zeug hält. Tattoo Ar­tis­t reiht sich an Tattoo Ar­tis­t – fast 500 Künst­le­r:in­nen insgesamt. Nadeln summen ununterbrochen, dringen unter die Haut, Farben mischen sich zu Motiven: Blumen, Tiere, Schriftzüge. Die Tat­too­künstler:in­nen kommen aus Hamburg oder sind für die Messe von weiter weg angereist.

Durch die Hallen schlendern Personen mit bunten Tattoos im Gesicht oder schwarzen Motiven am Hals. Bei anderen ist Körperkunst im Vorbeigehen nicht zu sehen. „All Bodies are welcome“, steht auf dem Ticket.

Die Hamburger Tattootage sind eine Tattoo­messe in Hamburg, organisiert von Hundertfarben Events. Die Veranstaltung fand 2024 zum ersten Mal statt. In diesem Jahr wurde das Event in den Hamburger Messehallen ausgerichtet, zeitgleich mit den Motorrad­tagen, zu denen man mit dem Ticket ebenfalls Zugang erhielt.

Viele Be­su­che­r:in­nen sind gekommen, um sich hier ein neues Tattoo stechen zu lassen. Manche wissen vorher, was sie wollen, andere lassen sich spontan inspirieren. Treue Kun­d:in­nen sind für ihre Täto­wie­re­r:in­nen vorbeigekommen. Wie Fans einer Band zum Konzert geht man hier zur Messe, um die Lieblings-Artists zu unterstützen.

Der fliegende Patrick auf dem Po war eine spontane Entscheidung, erzählt Tobi. Tattoos sind für ihn Flucht aus seinem sonst kontrollierten Alltag. Es ist das erste Tattoo, das nicht auf seinem Arm platziert ist. Und weh tat es kaum.

Für die, die sich auch spontan nicht für ein Motiv entscheiden können, gibt es noch eine andere Option: ein Glory Hole Tattoo. Unauffällig am Rand steht hier ein Hocker vor einem kleinen runden Loch in der Wand. Darüber klebt ein Zettel: „Gratis!“, steht drauf. Wer sich hier hinsetzt und seinen Arm ins Loch steckt, weiß nicht, wer gegenüber zur Nadel greift, und mit welchem Motiv er oder sie wieder herauskommt.

Der fliegende Seestern auf dem Po war eine spontane Entscheidung

Eine ältere Frau war mutig genug für das Glory Hole. Sie ist gerade aufgestanden und streckt ihren Freun­d:in­nen ihren Unterarm entgegen: ein Totenkopf. „Ich bin so happy“, strahlt sie. In ihrer Hand hält sie eine Visitenkarte, die ihr ­die unbekannte tätowierende Person am Ende durch das Loch geschoben hat. Und falls sie das doch noch bereut: Ein Tattoo-Anwalt ist auch in den Hallen – der ist nur gerade noch mit der Contest-­Bewertung beschäftigt.

Franka Ferlemann

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