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großraumdiscoMein Nachmittag als Biene

Am Hamburger Stadtrand lassen sich bewusstseinsverändernde Erfahrungen machen. Man muss nur mit der Performance-Truppe JaJaJa spazieren gehen

Wir sind gut 20 Erwachsene, angereist mit S-Bahnen und Zügen an diesen Bahnhof, an dem auch jeder Fernzug hält, obwohl selten jemand aussteigt: Hamburg-Harburg. Harburg ist mehr eine eigene Kleinstadt als ein Hamburger Stadtteil und es gibt für das Hamburger Kulturpublikum wenig Gründe, nach Harburg zu fahren, abgesehen vom örtlichen Kunstverein und dem Liveclub Stellwerk. Beide haben ihren Sitz direkt im Bahnhofsgebäude, was so wirkt, als wolle man nicht nur die Anfahrt erleichtern, sondern auch eine schnelle Abfahrt ermöglichen.

An diesem Samstag stehen also rund 20 Menschen in Reih und Glied im leeren und schlecht geheizten Kunstverein im Harburger Bahnhof, tragen Kopfhörer und lernen eine Choreografie. Es ist der Tanz der Bienen, den ihnen die Trainerin Iris (man ist per du) beibringt, indem sie Anweisungen per Funk auf die Kopfhörer schickt. „Vor – vor – drehen – drehen – schütteln – schütteln – und die Hüften kreisen – wie – eine – Acht – und von vorn …“

Der Tanz der Bienen ist kein Selbstgänger, schnell ist klar, wer von den Leuten ab und zu was mit seinem Körper macht und wer eher ausschließlich der Kopfarbeit zugeneigt ist. Aber alle bemühen sich und der Tanz der Bienen ist ja nur das Warm-up für einen gemeinsamen Spaziergang, bei dem alle etwas über die Welt, aber auch über sich lernen werden, hier draußen am Stadtrand, wo niemand aussteigt, der nicht muss.

Der Spaziergang ist ein Audio Walk auf Initiative des KunstHasserStammTisches der Hamburger noroomgallery. Die Gestaltung und Leitung übernehmen Iris Minich und Arvild J. Baud von dem Performance-Kollektiv JaJaJa. Audio Walk bedeutet, dass alle Teil­neh­me­r*in­nen einen Kopfhörer tragen und sich dem hingeben, was sie zu hören bekommen. Am Anfang ist das ein Essay von John von Düffel über die unschöne Sisyphos-Existenz des Konsumenten. Die Worte begleiten die kleine Gruppe durch einen Bahnhofsdurchgang zur Fassade eines Einkaufszentrums, wie sie aus den Innenstädten zunehmend verschwinden, weil pleite: 26.500 Quadratmeter Verkaufsfläche, 110 Läden, 1.072 Rolltreppenstufen. Das Phoenix-Center Harburg. Da geht es rein.

Der Audio Walk ist ein Stationendrama, beginnend auf dem Parkdeck ganz oben, von dem aus man eine phänomenale Aussicht hat auf Verkehrsadern, eingeschrieben in eine organisch gewachsene Betonlandschaft. Ein heller Mond steht am glasklaren Himmel und die vollkommene Szenerie wird allein dadurch gebrochen, dass die Autos fehlen. Fast niemand will hier oben parken. Stattdessen steht da eine Gruppe Jugendlicher und kifft mutmaßlich. Als Performerin Iris die Erwachsenen anweist, den Jugendlichen den Tanz der Bienen zu zeigen, verziehen sie sich verunsichert. Dabei war der Tanz als Geschenk gemeint.

Über das Treppenhaus geht es hinab in den Supermarkt des Centers, um gemeinsam „Nopping“ zu spielen. Über ihre Smartphones bekommen die Teilnehmenden Aufgaben wie diese hier: Stelle dich in die Warteschlange und genieße den Luxus, anderen den Vortritt zu lassen. Suche ein weit gereistes Produkt und erkläre ihm, wie es hierhergekommen ist. Finde einen Ort, an dem man sitzen oder liegen kann und mache ein Foto.

JaJaJa ist ein Life-Art-Kollektiv aus Hamburg, das seit 2004 immersive Inszenierungen, Performancekonzerte und Live-Audio-Walks im öffentlichen Raum ent­wickelt.

Erklärungen und Bilder werden gepostet in eine Whatapp-Gruppe, in der alle online vereint sind. Das stellt eine gewisse Motivation dar für das nächste Spiel: Jeweils zwei Gruppen haben die Aufgabe, in einen Kleidungs- und Nippes-Discounter zu gehen und eine Person aus ihrer Gruppen als König zu verkleiden. Und als Bauer. Und als Narr. Am Ende wird ein Foto gemacht und bewertet.

Es ist wie im richtigen Leben: Durchs gemeinsame Spielen kommen sich die Menschen, die als Bienen gestartet sind, näher. Machen eine Abschlussmeditation unterm Dach, da, wo das Center-Management tatsächlich ein Bienenvolk angesiedelt hat. Gehen danach essen im Erdgeschoss, wo es Pizza, Pommes und Asiatisch gibt. Und fahren zurück in die große Stadt, inspiriert von der Idee, öfter die Perspektive zu wechseln – in Harburg, Eimsbüttel oder sonst wo.

Wir fahren zurück in die große Stadt, inspiriert von der Idee, öfter die Perspektive zu wechseln – in Harburg, Eimsbüttel oder sonst wo

Klaus Irler

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