großraumdisco: Es könnte doch wirklich schade sein um diese schöne Welt
Schreien, Kreischen, Trommeln in der Nacht: Im Berliner Exploratorium wurde mit improvisatorischem Zugriff der Weltuntergang geprobt
Vor Kurzem war der Weltuntergang. Und ich war dabei. Und er war … nun ja …
… er war eher so mittel. Wobei es manchmal doch tüchtig zur Sache ging, da war dann schon so ein Ächzen in der Welt. Und es gab diese Momente einer künstlerischen Selbstvergessenheit, immer wieder blitzte eine somnambule Sicherheit auf. Eine Weltverlorenheit in bizarrer Schönheit.
Es war also eine bunte Sammlung von allerlei Irrsinn und manchen Verrücktheiten an diesem Abend im Berliner Exploratorium, in das sich trotz des verheißungsvollen Titels gar nicht so viele locken ließen. Aber schließlich ist immer genug anderes los in der Stadt, wer wartet da dann auf den „Weltuntergang“?
Nur wenige Handvoll Besucher wollten sich das mal begucken und beschauten dann etwa genauso viele Menschen im Bühnrenraum bei ihrem Tun. Wie sie säuselnd sich auf einen Ton eingroovten, wie sie brummten oder gleich eine Karikatur von Operngesang in den Saal stemmten. Zwischendurch durfte die Musik freigeistig rocken wie in einer Hippiekommune, es gab zerrissene Fetzen einer selbst gebastelten Neuen Musik, eine Frau war dabei zu sehen, wie sie entrückt Wasser in ein großes Glas schüttete …
Das alles passierte bei diesem „Weltuntergang“, einem Musiktheater für SängerInnen, SprecherInnen, Chor und Instrumentalisten nach Texten von Kurt Schwitters, Hannah Höch und Reinhard Gagel, der dieses mit improvisatorischem Zugriff angegangene Happening auch anleitete.
Die Namen Schwitters – mit „Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee“ hebt seine legendäre „Ursonate“ an – und Höch – die Berliner Künstlerin wurde vor allem mit ihren Collagen bekannt – verweisen natürlich auf Dada, diese Kunstströmung vor 100 Jahren, der auch der Erste Weltkrieg mächtig in den Knochen steckte und die scheinbar gar nicht mehr ernsthaft das Gespräch suchte mit ihrer Stummelsprache und den zerschnittenen Bildern. Eine Aufkündigung von bis dato geltenden Verabredungen, die Simulation einer Kommunikation.
Einfach die Aufkündigung von Sinn.
Heute nennt man so eine Arbeitsweise disruptiv. Ein Cut mit der Vergangenheit. Wir leben ja derzeit in bewegten Zeiten, in denen sich vieles verschiebt, dass man sich nicht wirklich sicher sein kann, ob die Welt nicht tatsächlich in den Untergang plumpsen könnte. Oder zumindest die Welt, wie wir sie kennen und von der man sich wohl verabschieden muss.
Im Bühnenraum versuchte inzwischen die Frau mit dem Wasser im großen Glas mit Plätschern oder sonst wie Musik zu machen, es gab alberne Gesten hier und feistes Deklamieren dort. Schreien, Kreischen, ein Trommeln in der Nacht, mit dem in den besten Augenblicken jedweder Sinn wirklich windelweich geklopft wurde. Also unbedingt tolle Momente, und andererseits wirkte das Ganze mit dem Drive einer Schultheateraufführung auch immer wieder arg bemüht, brav die Aufgabe des Abends abarbeitend.
Eher so mittel, also.
Zum Schluss dieses einstündigen Singspiels wurde noch richtig Sinn hineingepumpt, der im Libretto vermerkte Weltuntergang durfte dann doch nicht eintreten. „Und die Gefahr ist glücklich abgewendet“. Na schön.
Aber geht ja doch immer weiter. In den Fünfzigern, man hatte gerade erst den Staub der letzten Katastrophe von den Klamotten geklopft, wurde gern das gesungen: „Am dreißigsten Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang …“
Das Exploratorium
ist ein Raum für Improvisation, die dort an der Berliner Zossener Straße „als eine Art künstlerische Umgangssprache“ verstanden wird. Am 20. Februar verständigen sich dabei die Cellistin Ulrike Brand und Olaf Rupp an der Gitarre.
Ein Karnevalsschlager. Den 30. Mai borgte man sich aus der nahen Geschichte. In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 wurde Köln in Schutt und Asche gebombt.
In dem Liedchen aber fehlt die alles entscheidende Zahl. Weswegen gleich fröhlich weitergesungen wird: „Doch keiner weiß in welchem Jahr, und das ist wunderbar. Wir sind vielleicht noch lange hier, und darauf trinken wir.“ Thomas Mauch
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