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große koalitionWAGENBURG-MENTALITÄT

Es hätte ein zweiter Aufbruch werden können. Sechs Monate nach der Wahl, vier Monate nach der Regierungsbildung hat das Landesparlament gestern noch einmal einen Senator gewählt, einen Bürgermeister vereidigt. Nach den quälenden Koalitionsverhandlungen vom vergangenen Herbst hätten CDU und SPD den Rücktritt der Kultursenatorin Christa Thoben nutzen können, den Fehlstart auszubügeln.

Dazu aber reichte die Kraft der alten Frontstadt-Kämpen nicht mehr. Allein im Kulturressort versucht die Koalition mit Christoph Stölzl einen Neuanfang, ansonsten aber wird alles nur noch schlimmer.

Kaum nimmt das „neue Berlin“, von dem die große Koalition zehn Jahre lang nur redete, Gestalt an – da verkriecht sich die lokale Politik erneut in eine Wagenburgmentalität.

„Wir sind keine Provinz“, sagt SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit trotzig, und CDU-Rathauschef Eberhard Diepgen beklagt sich larmoyant über Versuche, Berlin „schlechtzuschreiben“.

Dass sie selbst ein Teil des Problems sein könnten, kommt den ermatteten Helden gar nicht in den Sinn. Ein neuer Stil in der großen Koalition: Das ist längst Schnee von gestern.

Längst sind die Rollen wieder wie gewohnt verteilt: Die CDU tut so, als regiere sie allein – und drängt die Sozialdemokraten damit in jene Zwitterrolle der oppositionellen Regierungspartei, in der sie nur verlieren kann.

Einzig das Konfliktfeld Finanzpolitik scheint durch den Abgang der streitbaren Senatorin Fugmann-Heesing entschärft. Aber das kann sich schnell ändern, wenn im nächsten Jahr Milliardenlöcher klaffen und der Verkauf städtischer Wohnungen ansteht.

Der neue Kultursenator dagegen will über Geld lieber nicht reden. Schließlich habe die Firma Rolls-Royce die PS-Zahl ihrer Autos früher auch nicht verraten wollen. „Unsere Automobile sind ausreichend motorisiert“, hieß es in der Reklame. Das kann man von der großen Koalition nicht gerade sagen.RALPH BOLLMANN

Berichte Seite 22

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