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Archiv-Artikel

gottschalk sagt Deutschland beflaggt sich

Christian Gottschalk: Die Kolumne am Donnerstag

Es war in einer dieser Kölner Straßen, in denen die Grünen Wahlergebnisse erreichen, die an jene der SED erinnern. Auch dort interessiert man sich ja mittlerweile für Fußball. Aus einer topsanierten Altbauwohnung hing eine Deutschlandfahne, geschmückt mit einer Regenbogenborte, auf der „Pace“ stand. Der Patriotismus hatte die Knobelbecher ausgezogen, trug plötzlich Sandalen und rief: Rot-grünes Kuscheldeutschland vor, noch ein Tor! Wir lassen uns das Deutschland-gut-finden nicht mehr vermiesen, man kann zum Fußballgucken auch Bio-Rotwein trinken.

Ich habe ja keine Ahnung von Fußball, weshalb ich auch keinen Cent meines schwer verdienten Geldes für irgendwelche Tipps ausgegeben habe. Obwohl ich öfters in Kneipen angesprochen wurde. Ich sagte dann stets: „Ich habe keine Ahnung von Fußball“, und bekam immer die gleiche Antwort. Das wäre total gut, genau so einer, der absolut keine Ahnung von Fußball hatte, habe bei der WM den Jackpot abgeräumt. In drei Kneipen. Vermutlich war es ein skrupelloser Betrüger, der so tut, als habe er keine Ahnung von Fußball, aber in Wirklichkeit Ergebnisse mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit voraussehen kann. Dieser Schuft hat in diversen Gaststätten sein Unwesen getrieben und ehrliche Tipper um ihr Geld gebracht. Oder man hat mir Mist erzählt.

Das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalelf hat zumindest den Vorteil, dass man keine Interviews mit bemalten Betrunkenen vor Großbildleinwänden mehr sehen muss, die „Superstimmung“ ins Mikrofon keuchen. Wer „Superstimmung“ nicht so mag, kann sich Fußball auch in ruhiger, nachgerade kontemplativer Atmosphäre anschauen. An den WDR-Arkaden ist ein fest installiertes Großbildteil, das einige Obdachlose zu ihrem Fernseher erkoren haben. Gemeinsam mit den Gästen einer Kneipe nebenan, die einige Tische auf der Breitestraße stehen hat und quasi die natürlichen Begebenheiten des Ortes zu nutzen weiß, indem sie nur den Ton nach draußen überträgt, schauen sie dort die EM-Spiele an. Das gibt ein sehr entspanntes Bild, wie alle zusammen Fernsehen gucken. Für den Zeitraum eines Fouls oder einer gelungenen Flanke mag man sehen, dass wir alle frei und gleich geboren sind. Und wer kein Fenster hat, kann wenigstens keine Scheiß-Flagge raushängen.