: globalkritik
Mit ihrem Buch „No Global – New Global“ haben Massimiliano Andretta, Donatella della Porta, Lorenzo Mosca und Herbert Reiter einen der eher seltenen Beweise vorgelegt, dass Sozialwissenschaftler wichtige Trends aktuell erforschen. Ihre Studie untersucht „Identität und Strategie der globalisierungskritischen Bewegung“, so der Untertitel, und geht dabei von den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Genua 2001 aus. Den im Untertitel formulierten Anspruch lösen die Autoren zwar nur unvollständig ein, dennoch lohnt das Buch der Lektüre.
Beeindruckend ist die Breite der empirischen Datenbasis. Insbesondere die Befragung von über 800 Teilnehmern der Proteste gegen den Weltwirtschaftsgipfel bringt viele interessante Fakten über die bisher weitgehend unbekannten Subjekte dieser „neuen“ sozialen Bewegung ans Tageslicht: 50 Prozent aller Befragten sind Studenten, aber nur 13 Prozent Arbeiter; 26 Prozent haben viel oder ausreichend Vertrauen in Parteien, 87 Prozent dagegen in soziale Bewegungen. Wie diese und viele andere Einstellungen und Charakteristika mit Bildung, Alter, Geschlecht oder anderen demographischen Faktoren in Verbindung stehen, erfährt die LeserIn jedoch nicht.
Problematischer noch ist das Versäumnis der Autoren, die Natur ihres kollektiven Subjekts ausreichend zu problematisieren. Vergeblich sucht man nach der entscheidenden Frage: Was ist die globalisierungskritische Bewegung? Stattdessen verweisen sie auf diffuse Konzepte wie die „Weltzivilgesellschaft“ und suggerieren so, die globalisierungskritischen Bewegung sei im umfassenden Sinne eine globale Bewegung. Tatsächlich haben sich die Globalisierungskritiker bisher nicht vom Nationalstaat als politischer Zwangsjacke emanzipiert und sind in ihren Organisationsformen, Forderungen und Strategien entsprechend heterogen. Um dem gerecht zu werden, empfiehlt es sich von globalisierungskritischen Bewegungen zu reden.
Deren Vielfalt zeigen auch die Ergebnisse einer Umfrage unter 2.384 Teilnehmern am Europäischen Sozialforum (ESF) in Florenz. Im Schlusskapitel werden Daten über die Selbsteinordnung der Aktivisten auf einer Links-rechts-Achse nach Ländern getrennt präsentiert. Die Unterschiede sind eklatant: Während sich etwa 19 Prozent der spanischen Aktivisten als extrem links einstufen, sind es 67 Prozent der britischen. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse relativiert sich allerdings, wenn man bedenkt, dass sie auf 88 bzw. 119 Personen basieren. Noch problematischer ist die Tatsache, dass die Mobilisierung zum ESF in Großbritannien vor allem von der Socialist Workers Party organisiert wurde. Letztlich verrät das Kapitel deshalb zwar viel über die nationalen Unterschiede der Teilnehmer am Sozialforum, aber herzlich wenig über die Unterschiede der sozialen Basis der globalisierungskritischen Bewegungen in diesen Ländern.
Enttäuschend an Andrettas Buch ist vor allem, dass es trotz interessanter Daten und Ansätze die Strategien der globalisierungskritischen Bewegungen nicht erklären kann. Dabei markiert Genua den vorläufigen Höhepunkt einer dieser Strategien: Massenproteste zu organisieren, wenn Staats- und Regierungschefs zusammenkommen. Insbesondere Seattle und Genua haben den Reformbedarf des globalen Kapitalismus beinahe einvernehmlich in der öffentlichen Debatte verankert.
Doch sehr bald musste die Bewegung erkennen, dass die Gipfel-Strategie zwar die Rhetorik, nicht aber die Substanz der Politik verändern kann. Der anschließende Lernprozess führte zwar nicht zur Ablösung dieser Strategie, aber sie wurde um international koordinierte nationale Kampagnen ergänzt. Attac hat mit seiner europaweiten Kampagne gegen das Gats-Abkommen diese Strategie erfolgreich eingesetzt. FELIX KOLB
Massimiliano Andretta u. a.: „No Global – New Global. Identität und Strategien der Antiglobalisierungsbewegung“. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003, 248 Seiten, 19,90 Euro