gipfelkühle in moskau: Ernüchternde Realitäten
Von Wärme war auf dem Gipfeltreffen in Moskau wenig zu spüren. Mochte sich Präsident Clinton auch noch so sehr bemühen, die Atmosphäre um einige Grade zu erwärmen. Amtskollege Putin hielt auf kühle Distanz. Geschäftsmäßig ging es zu. Genauso wie es das Drehbuch des Kreml für die heimische Perspektive vorgesehen hatte. Jelzin-Nachfolger Putin sollte demonstrieren, dass die Zeiten der angeblichen Hörigkeit gegenüber Washington der Vergangenheit angehören. Für diese Rolle musste der Kreml-Chef nicht eigens in eine fremde Haut schlüpfen. Daher war für Clinton in Moskau kein Punkt zu holen. Die Zustimmung der Russen zur Modifikation des ABM-Vertrages ist keinen Deut näher gerückt.
Kommentarvon KLAUS-HELGE DONATH
Unterdessen könnte der Gipfel zu etwas mehr Realitätsbezug in der Kreml-Politik führen. Die erfrischende Selbstkritik Clintons, Washington habe im letzten Jahrzehnt in der Russlandpolitik einige gravierende Fehler begangen, sollte Moskau als Aufforderung verstehen, außenpolitisch den Fluchtpunkt zu ändern. Noch immer haftet das Augenmerk der Russen geradezu obsessiv an den USA. Auch das geschwächte Moskau kann sich nicht von dieser Fixierung auf den ehemaligen gleichwertigen Gegner im Kalten Krieg lösen. Man will es ihm immer noch gleichtun.
Gerade die russische Kopierfreudigkeit amerikanischer Konzepte und Ratschläge ist aber für so manchen Rückschlag im Reformprozess verantwortlich. Insofern war Clintons Botschaft eindeutig: Backt erst mal kleinere Brötchen, dann werden wir weiter sehen. Ob der Kreml und die jüngere politische Elite, die auch unter dem US-Komplex leidet, den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden haben? Man kann nur hoffen. Seit längerem schon haben die USA das Interesse an Moskau verloren und wären nur allzu dankbar, wenn sich Europa, wie von Clinton gefordert, des ungeschlachten Riesen endlich annähme.
Indes hat Russland Europa erst vor kurzem entdeckt. Ausgerechnet in einem Moment, wo der alte Kontinent mit sich selbst genug zu tun hat. Jeder Antrag aus Moskau, so scheint es, ist der Umworbenen eher lästig. Lässt sich Europa indes nicht auf den Kreml ein, treibt es Russland in die Selbstisolation oder die Arme jener „Schurkenstaaten“, deretwegen Bill Clinton vornehmlich in Moskau weilte. Schließlich braucht er noch die Zustimmung des Kreml, um sich mit dem Raketenabwehrsystem NMD gegen potenzielle strategische Partner Russlands zu rüsten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen