geschlossen: Der Freibadsommer ist in Gefahr
Stell dir vor, du bist 14 – das Jahr, in dem du endlich allein, ohne Mama, ins Freibad gehen kannst. Vielleicht mit einer Freundin, einem Freund. Ihr nehmt die Bravo mit, oder andere seltsame Magazine mit Schmuddelsachen drin. Es riecht nach Chlor und Pommes Schranke, das Wasser glitzert, vor dem Zehner prügeln sich alle und manchmal schaut dieser ältere Mann am Beckenrand mit dem Schnauzer immer ein bisschen eklig genau dann zu dir, wenn du aus dem Becken kletterst. Aber trotz allem ist es der Sommer deines Lebens, Freibad bedeutet Sonnenbrand, Kaktus-Eis und die große Freiheit.
Wie so vieles in der Coronapandemie sind solche unbeschwerten Schlüsselerlebnisse der Adoleszenz für viele Jugendliche gefährdet: In den Bädern gibt es nicht genug Personal. Nicht nur die BademeisterInnen fehlen, sondern im Grunde eigentlich alle – VerkäuferInnen und MitarbeiterInnen, die den Betrieb am Laufen halten.
In Hamburg macht der Schwimmbadbetreiber Bäderland deshalb viele Hallenbäder dicht und schränkt die Öffnungszeiten der Freibäder ein. Die wenigen BademeisterInnen werden insbesondere dafür benötigt, um irgendwie den pandemiebedingten Rückstand bei den Schwimmkursen aufzuholen. Und genügend Personal, um auch noch jemanden in Badehose und mit strengem Blick an den Beckenrand im Hallenbad zu stellen, gibt es nicht.
Während der nationalen Lockdowns waren auch die Schwimmbäder dicht und viele Menschen haben sich anderswo umgesehen, um pandemiesichere Jobs zu bekommen. Und auch jetzt gebe es viele Krankheitsausfälle: Die Lage bleibt „trotz intensiver Rekrutierungsbemühungen aufgrund ungewöhnlich hoher Corona- und Krankenfallzahlen weiterhin angespannt“, sagte Bäderland-Sprecher Michael Dietel dem Hamburger Abendblatt.
Was braucht es nun? Mehr Geld für die Bäder vom Senat? Arbeitsplatzgarantien auch in Lockdownphasen? Schwimmbadbesuche jedenfalls waren wohl noch nie so wichtig wie in diesem Sommer. Alle Preise steigen, viele Familien können sich den Sommerurlaub nicht mehr leisten, sind aber geschlaucht von den Pandemiejahren. Ein Tag Leichtigkeit am Beckenrand tut gut.
Und es könnte sogar eine Saison der Gleichberechtigung werden, in der weiblich gelesene Körper vielleicht nicht mehr kriminalisiert werden, wenn sie oben ohne schwimmen wollen. Voraussetzung ist, dass sie auch schwimmen gehen können.
Bisher sind die Freibäder noch größtenteils offen. Aber was, wenn noch ein paar Superspreader das Personal infizieren? Entspannt ist die Lage nicht. Deshalb, BademeisterInnen, die ihr euch nun an grauen Büroschreibtischen langweilt: Kommt zurück an den Ort, wo schlechter Geschmack noch gewürdigt wird. An den Ort, den wir uns auch leisten können, wenn kein Geld für Flüge da ist. An den Ort, wo Omas morgens um 6 Uhr ihre Bahnen kraulen können. Wir brauchen euch.Nora Diekmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen