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Archiv-Artikel

fisch und frischhaltefolie von RALF SOTSCHECK

Die Schotten trinken Whisky, tragen Röcke und beherbergen Ungeheuer in ihren Gewässern. Und Unmengen von Fischen. Es gibt so viele der nassen Tiere in schottischen Gewässern, dass der Europäische Sportanglerverband die Regeln für die Europameisterschaften im September auf Islay ändern musste. Die Teilnehmer aus 16 Ländern dürfen nur zwei Fliegen an ihre Leinen binden, weil die Forellen dermaßen beißwütig sind, dass die Schiedsrichter sonst mit dem Zählen nicht mehr nachkommen.

Jede Forelle bringt dem Fänger hundert Punkte ein, und wenn sie länger als 20 Zentimeter ist, gibt es für jeden Zentimeter darüber hinaus 20 Punkte. Die Schiedsrichter müssen die Viecher zählen, messen und umgehend wieder ins Wasser werfen, so dass eine schlaue Forelle sich ein paar Dutzend Mal fangen lassen kann, weil sie weiß, dass sie jedes Mal etwas wohlgenährter wieder nach Hause darf.

So großzügig die Schotten ihre Fische an die ausländischen Sportangler ausleihen, so knauserig sind sie, wenn die Besucher die Tiere auffressen. Der Anglerclub im Leven-Tal hat vorige Woche die Erlaubnis erwirkt, einen Vielfraß zu erschießen. André habe fast sämtliche Lachse in der Umgebung des Anglerclubs am Fluss Leven verspeist, sodass der Verein nun viel weniger Angellizenzen verkaufen kann. André ist ein Seehund, die Kinder im Leven-Tal haben ihn nach einem Film benannt, in dem ein Seehund von einem kleinen Mädchen adoptiert wird. Die Kinder demonstrierten vorige Woche täglich, um den einzigen Seehund der Gegend vor der Hinrichtung zu bewahren. Der Tierschutzverband versuchte, André einzufangen, um ihn ins offene Meer abzuschieben, doch er fiel auf die Seehundfalle – ein Floß voller Fische in einem Netz – nicht herein. Der Angelclub schob die Hinrichtung am Mittwoch in letzter Sekunde auf, sodass André vorerst am gedeckten Tisch im Leven bleiben darf.

Im Loch Leven fand am 1. Juli 1880 übrigens der erste Angelwettbewerb der Welt statt. Damals durften die Angler vier Fliegen gleichzeitig benutzen, was die Schiedsrichter heutzutage überfordern würde. Erschwerend kommt hinzu, dass die Europameisterschaften diesmal von Bowmore gesponsert werden, einer von sieben Whiskybrennereien auf Islay, und das ist der korrekten Fischzählung sicher eher abträglich. Hinzu kommt, dass so mancher Schotte nach dem Genuss von zu viel Whisky einen seltsamen Humor entwickelt. Vorigen Donnerstag begegnete ich auf dem Klo einer Kneipe in Glasgow einem Mann, der seinen nackten Hintern ins Handwaschbecken hielt und ihn abbrauste. Zurück am Tresen, fragte ich meinen Bekannten, ob das in Schottland üblich sei. Der Wirt, der meine Schilderung gehört hatte, verschwand wie ein Blitz auf der Herrentoilette, um den Powäscher zur Rede zu stellen. Als er zurückkam, konnte er sich vor Lachen kaum beruhigen. „Der Typ hat mir erklärt“, sagte der Wirt, „dass er es sich auf dem Klo gemütlich gemacht hatte, ohne zu bemerken, dass ein whiskyseliger Witzbold Frischhaltefolie darüber gespannt hatte.“