fimstarts á la carte: Psychedelisches Käsefondue
Als Technicolor-Kameramann zählte der Brite Jack Cardiff zu den weltweit besten Technikern seiner Zunft. Seine Glanzzeit hatte er in den 40er-Jahren erlebt, als er mit dem Regisseur Michael Powell an den farblich ungemein ausgeklügelten Produktionen „Die roten Schuhe“ und „Schwarze Narzisse“ arbeitete. Ende der 50er-Jahre wechselte Cardiff zur Filmregie, konnte jedoch mit meist eher zweitklassigen Auftragsproduktionen in verschiedensten Genres seine Fähigkeiten nie mehr wirklich unter Beweis stellen. Einmal jedoch ließ man ihn so arbeiten, wie er es sich vorstellte: Für die britisch-französische Produktion „The Girl on a Motorcycle“ (1968) adaptierte Cardiff den Roman „La Motocyclette“ von André de Mandiargues und übernahm neben der Regie auch wieder die Kameraarbeit. Inhaltlich beschwört „The Girl on a Motorcycle“ die Rebellion der 68er Generation gegen die kleinbürgerliche Enge herauf: Die frisch verheiratete Rebecca (Marianne Faithfull) langweilt sich mit dem ihr angetrauten schwächlichen Lehrer allzu arg und rast mit dem Motorrad zu Mittsechziger-Agentenfilmmusik durch elsässische Landschaften und über deutsche Autobahnen ihrem Heidelberger Lover (Alain Delon als Pfeife rauchender Universitätsdozent, der mit seinen Studenten über die freie Liebe diskutiert) entgegen. Aus heutiger Sicht faszinieren neben der exzellenten fotografischen Umsetzung der Motorradfahrt vor allem die farbverfremdeten Rückblenden und Traumsequenzen, in denen Rebecca sich der erotisch erfüllenden Momente mit ihrem Liebhaber erinnert. Ähnlich wie Antonionis „Zabriskie Point“ fängt auch „The Girl on a Motorcycle“ den Geist einer ganzen Ära ein: Da blubbert sogar das Käsefondue psychedelisch vor sich hin.
„Nackt unter Leder“ (The Girl on a Motorcycle) (OF) 1. 5. im Central 2
Wenn man den Schauspieler und Regisseur Hendrik Höffgen in „Mephisto“ zum ersten Mal sieht, hat er gerade einen Tobsuchtsanfall - denn der Applaus des Theaterpublikums gilt einem anderen Star. Doch Höffgen will spielen, Höffgen will nach oben. Und dafür ist er bereit, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, den er als Mephisto in Goethes „Faust“ selbst so verführerisch verkörpert. Regisseur István Szabó findet für Höffgens Opportunismus ein treffendes Bild: Einmal schickt der Schauspieler einer jüdischen Kollegin, die ihn protegiert hat, einen Blumenstrauß mit Dankeskarte - nur wenig später geht genau der gleiche Dank an eine Darstellerin, die mit einem hohen Naziführer liiert ist. Szabós Chronik einer deutschen Karriere entstand nach einem Schlüsselroman von Klaus Mann, der Höffgen recht unverhüllt die Züge seines ehemaligen Schwagers Gustaf Gründgens verliehen hatte. Und wie der schillernde Gründgens, der in seiner Funktion als Intendant des Preußischen Staatstheaters einerseits als Aushängeschild der Nazi-Kultur diente und andererseits bedrohten Kollegen half, bleibt auch Höffgen in der Interpretation von Klaus Maria Brandauer eine zwiespältige Figur: eitel, genial, naiv und immer bereit, sich selbst etwas vorzulügen.
„Mephisto“ 26. 4. bis 2. 5. im Xenon
Ausgangspunkt des Unternehmens war ein Trickfilmer, der sich für die Erfahrungen anderer deutscher Animationskünstler interessierte: Gerd Gockell und seine Mitarbeiter führten zunächst private Tonband-interviews mit Veteranen der Branche, ehe sich plötzlich die Möglichkeit ergab, die Gespräche für den Film „Muratti und Sarotti“ zu verwerten. Entstanden ist eine kleine personalisierte Geschichte des deutschen Trickfilms von 1920 - 1960, die ihrerseits in den die Filmausschnitte verbindenden Sequenzen vollständig animiert ist und somit aus der Not (kein Bildmaterial zu den Tonbändern) eine Tugend macht.
„Muratti und Sarotti“ 26. 4. bis 2. 5. im Blow Up 2
Lars Penning
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