ex und pop (20): saunafeierfrage:
von DIETRICH ZUR NEDDEN
Die Wintersaison ist eröffnet. Kübelweise fließt der geschmacksverstärkte Glühwein, und der (nennen wir’s mal:) Duft von naturidentischem Schmalzkuchen aromatisiert Teilstrecken des 12. Boulevards. Es ist kühl in Deutschland kurz nach dem Nationalfeiertag, der auf der Expo selbstverständlich der Nationentag Deutschland war.
Ich habe eigentlich, um eine Formulierung Reagans aus einem anderen Zusammenhang zu entlehnen, nicht grundsätzlich etwas gegen Deutsche, einige meiner besten Freunde sind welche. Wenn sie sich nur nicht dauernd mit sich selbst beschäftigen müssten auf diese autistische Weise, statt Leuten auf den Hut zu hauen, die zu wissen meinen, was deutsch ist, und stolz darauf sind. Bitte kein Plädoyer für eine „Normalität“, um Himmels willen nein, aber dauernd diese tief schürfende Suche nach der „Identität“, dauernd diese Deutsch-sein-was-ist-das?-Fragerei. Eine Antwort soll ja schon irgendwo bei Nietzsche stehen: dass die Frage niemals ausstirbt.
Nun denn, der Abend des 3. Oktober wurde auf der Expo entsprechend nachdenklich begangen. Die Bundesregierung hatte namhafte Autoren von Moritz Rinke über Herta Müller bis Alissa Walser beauftragt, kurze theatralische Texte zu fertigen. Der Gesamtkomplex in „Welturaufführung“, inszeniert von Arie Zinger, nannte sich dann nach dem Beitrag von Péter Nádas „Die erste Stunde nach der letzten“. Selbstverständlich waren die Autoren hör- und sichtbar darum bemüht, keine Hofdichtung abzuliefern, und das gelang ihnen so weit ganz gut. Nur als „Theaterperformance“ funktionierte das Ganze eher nicht.
Vorgestern endlich zur Eröffnung der „Länderwoche“ Nordrhein-Westfalens abends eine „offene Gesprächsperformance“ zu der Frage „Was heißt hier deutsch?“. Günter Wallraff zitierte das obige Nietzsche-Wort, damit ich es aufschnappen konnte und hier verwenden; der nach Australien emigrierte deutsch-jüdische Komponist Georg Dreyfus brachte eine Naturmusik für zwei Flöten zur Uraufführung, und Zehra Cirak las aus ihren Gedichten, eine gepflegte, eine verdienstvolle Veranstaltung gewiss. Doch mich interessierte dann das Varieté in der Nähe, das Mitarbeiter aus zwölf Nationen-Pavillons auf die Bühne hievten. Tänze aus den Philippinen und aus Laos, eine indische Modenschau, sehr komische Sketche der Kanadier und Mexikaner und vor allem zwei begnadete Conférenciers, die als die wahre Verona Feldbusch und der wahre Sir Peter Ustinov durchs Programm führten. An dem sich die Mitarbeiter des deutschen Pavillons aus welchen Gründen auch immer nicht beteiligt hatten.
Mir fiel der ältere Herr unlängst in der Sauna ein, der sich über seine Nachbarn „aus einem anderen Kulturkreis“ beklagte. „Ich meine das nicht als Diskrimination oder Vorurteil. Das sind keine bösen Menschen, aber lebenslustig.“ Ich erwarte nach all dem umgehend eine Talkshow-Performance zum Thema „Reden wir zu oft uebers Deutsch-Sein?“ Das alles muss mir mal irgendwer irgendwann erklären. Aber es muss nicht heute sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen