ex und pop (12): toleranztrommeln:
von DIETRICH ZUR NEDDEN
Eine Freundin skizzierte unlängst die Idee zu einem sozusagen konfrontationstherapeutischen Expo-Projekt: Man müsse Glatzennazis einladen, auf dem Expo-Gelände eine „Ausländer raus!“-Demo zu veranstalten. Die Mitarbeiter der fast 200 Nationen und internationalen Organisationen bereiten sich entsprechend auf den Besuch vor, denken sich eigenverantwortlich Konteraktionen aus, suchen eventuell unter den kunsthandwerklichen Exponaten auf ihrem Stand nach geeigneten Argumenten und so weiter. Die jungen Nurdeutschen müssten dann von Pavillon zu Pavillon ziehen, gerieten womöglich hier und da in einen Hinterhalt und würden sich, wenn alles klappt, beträchtliche Schläge einhandeln. Sozialpsychologisch von Interesse dürften die Reaktionen der neutralen Besucher sein. Haben sie den Eindruck, mitten in eine Performance, in eine von Schlingensief gar, geraten zu sein? Ergreifen sie Partei oder belassen sie es bei Anfeuerungsrufen? Für wen?
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Begegnungen der groben Art eine gute Idee sind, sie ist jedoch besser als die ebenfalls eher nonverbal angelegte der Expo GmbH, die sie sich zum heutigen Bergfest der Ausstellung ausgedacht hat: „Die Welt trommelt zur Halbzeit der EXPO 2000 für Toleranz und Völkerverständigung.“ Das klingt en gros schon ziemlich behämmert, en detail wird es noch schlimmer: „Eine kubanische Band und eine Tanzgruppe aus Singapur treten spontan gemeinsam auf, der Verkäufer aus dem jordanischen Pavillon erklärt dem Besucher aus den Niederlanden, wie er am besten zum Pavillon von Estland kommt, und abends feiern Gäste und Mitarbeiter aller Nationen gemeinsam auf der Plaza Latina.“ Wer den Weg dorthin sucht, geht immer dem Ohr nach. Dort, wo getrommelt wird, da lass dich ruhig nieder zum Höhepunkt, „eine Lichter- und Trommelkette, bei der gemeinsam für Toleranz und Völkerverständigung getrommelt wird“. Und damit sich im Zuge der Verständigung wirklich niemand mehr verständlich machen kann, hat das Festkomitee etwas ganz Perfides ersonnen: „Die Expo-Besucher und Mitarbeiter können sich aktiv an der Aktion beteiligen und Trommeln und Rasseln mitbringen.“ Wer dann immer noch eine Hand frei hat, reiht sich ein bei der Zuteilung der traditionellen Ausrüstung: „Von 20.30 Uhr an werden vor den Pavillons am Europa-Boulevard Kerzen an die Besucher verteilt. Während der Ausgabe treten zudem verschiedene internationale Trommelgruppen auf.“
Wird der Zeitplan eingehalten, beginnt der letzte Tagesordnungspunkt „Trommel- und Lichterkette“ eine Dreiviertelstunde später am Pavillon von Irland, wo eine „Millennium-Drum“ installiert ist, selbstredend die „größte Trommel der Welt“, mit der „EXPO-Generalkommissarin Birgit Breuel und der Aufsichtsratsvorsitzende Helmut Werner dann offiziell ‚antrommeln‘ werden“. Zum Grand Finale endlich auf der Plaza „ein lautes Abschlusstrommeln“. Und da sage noch einer, die antifaschistischen Proklamationen im real existierenden Sozialismus seien von oben verordnet gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen