eu-stabilitätspakt : Freibrief für alle Schuldenmacher
In der Nacht zum Montag war Jean-Claude Juncker plötzlich nicht mehr mit sich einer Meinung. Dem dienstältesten europäischen Regierungschef, der in Personalunion Premier- und Wirtschaftsminister Luxemburgs ist, hatte man zugetraut, den Stabilitätspakt vor französischen und deutschen Sonderregeln retten zu können. Einen faulen Kompromiss werde es mit ihm nicht geben; dann bleibe eben alles wie gehabt, so Junckers Position. Die Drohung fiel dem amtierenden Ratspräsidenten nicht schwer, weil Änderungen am Pakt nur einstimmig beschlossen werden können.
KOMMENTAR VON DANIELA WEINGÄRTNER
Nun aber hat sich Juncker anders besonnen. Besser einen faulen Kompromiss als keinen Kompromiss, lautet seine neue Devise. Auf die Haushaltsdisziplin der großen Defizitsünder Deutschland, Frankreich und Italien wird das keine Auswirkungen haben. Die machen schon lange Schulden, wie sie wollen, und betrachten das Defizitverfahren der Kommission als lästige Formalie, die sie im Finanzministerrat aushebeln können.
Der reformierte Pakt eröffnet aber Schlupflöcher für alle. Er besagt, dass jedes Land Faktoren benennen kann, die seiner Ansicht nach höhere Schulden unumgänglich machen. Vor allem Kosten der europäischen Einigung dürften dabei berücksichtigt werden. Der Fantasie der Finanzminister sind künftig keine Grenzen mehr gesetzt. Führt die Liberalisierung, die mehr Wirtschaftswachstum bringen soll, zu Niedriglohnkonkurrenz aus den östlichen Mitgliedsländern, entstehen in den alten EU-Staaten höhere Sozialkosten – indirekte Folgekosten der EU-Einigung. Nach dem Wortlaut des neuen Pakts bedeutet das einen Freibrief fürs Schuldenmachen.
Spannend ist nun nur noch die Frage, ob Ratspräsident Juncker für sein Entgegenkommen wenigstens etwas Nützliches eingetauscht hat. Das könnte zum Beispiel eine deutsche Zusage sein, die EU-Finanzen in der kommenden Planungsperiode 2007 bis 2013 etwas großzügiger zu bedenken als bislang angekündigt. Bleiben die Nettozahler-Ländern inklusive Deutschland bei ihrer Haltung, nicht mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach Brüssel zu überweisen, sind die Finanzverhandlungen blockiert.
Juncker will deshalb eine Grundsatzeinigung bis Ende Juni; dann endet seine Präsidentschaft. Doch der Flop beim Stabilitätspakt lässt befürchten, dass sich der pfiffige Luxemburger auch an dieser Aufgabe die Zähne ausbeißen könnte.