eject: STEFAN KUZMANY über die Schwärze
Sehen Sie: Sie sehen nichts!
Donnerstag, 20 Uhr und 25 Minuten, in Deutschland: Dreißig Sekunden lang wurde die Republik zurückgeworfen in die Zeiten des puren öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Kein RTL mehr. Wo einst Sat.1 sendete: eine programmlose Wüste in Schwarz. Pro 7: verschwunden. Kabel 1: weg vom Fenster, nicht weiter tragisch. Kein VOX. Aus war’s mit der Superbusensauforgie auf RTL 2, und die Kinder mussten ohne Super RTL ins Bett. Hat es tm 3 jemals gegeben? Am Donnerstag war der Ex-Frauen und Ex-Fußballsender zeitweilig nicht existent. Die allgegenwärtigen Catcher catchten sicher irgendwo, aber nimmer auf DSF. Und die Aktienkurse musste man sich woanders besorgen, jedenfalls nicht bei n-tv. Alles schwarz.
Oder genauer: Schwarzblende. Vor aller Augen wollten die privaten TV-Anbieter in einer konzertierten Aktion nochmals auf das aufmerksam machen, was doch eigentlich schon jeder weiß, weil sie es bei jeder Gelegenheit jedem herunterbeten, der nur zaghaft äußert, dass ihm Werbeeinblendungen schwer auf die Nerven fallen. „Ohne Werbung sieht Ihr Programm ganz schön finster aus. Denn Werbung finanziert diese Sendung“, ließ denn also eine Texteinblendung wissen. Aha, vielen Dank.
„Ziel dieser Aktion ist es, die Zuschauer über die Bedeutung der Werbung für die Sicherung der Angebotsvielfalt im privaten Fernsehen zu informieren. Damit soll das Wissen über und das Verständnis für Werbung in Deutschland als einzige Refinanzierungsquelle der Privatsender vertieft werden“, informiert uns also zum wiederholten Male der VPRT, der Verband der Privatanbieter. Nun wären Werbeeinblendungen an sich ja nicht so schlimm. Schlimm ist nur, was die Privatsender mit den Erlösen (1999 nach eigenen Angaben 8 Milliarden Mark) so alles finanzieren. Die Ausblendung am Donnerstag betraf beispielsweise bei RTL eine „Columbo“-Folge von 1978. Sicher sehr teuer gewesen im Einkauf. Das familienfreundliche Uschi-Glas-Machwerk „Sylvia“, zeitgleich bei Sat.1 unterbrochen, war wohl noch wesentlich kostspieliger. Man muss Menschen nämlich sehr viel Geld geben, um sich so einen unerträglichen Schwachsinn auszudenken.
Die Fernsehnation hat die Schwärze still geduldet. Denn plötzliche Bildausfälle haben ihre ganz eigene Faszination, nicht umsonst liegen sie bei den Einschaltquoten ganz vorne.
Wann wird es weitergehen? Was wird passieren, wenn es weitergeht? Werden wir, ganz kurz nur, einen sich unbeobachtet glaubenden Fernsehmenschen betrachten können, der fluchend oder in ungewohntem Dialekt mit Technikern schwatzend in der Nase bohrt? Ist der Bildschirm schwarz, wächst schnell das Gefühl, das, was man sehen könnte, wäre der Bildschirm nicht schwarz, könnte super spannend sein. Wer nichts sieht, glaubt, er verpasst etwas. Der Bezahlkanal Premiere setzt mit der verschlüsselten Ausstrahlung des eigenen Programms schon lange auf diesen Effekt: verdammt, wenn ich einen Dekoder hätte, könnte ich all diese exklusiven Programmangebote genießen. Groß ist die Enttäuschung dann nach Abschluss eines sündhaft teuren Vertrages mit den Unterföhringer Kirchlern: Auf all das ach so Exklusive hätte man gut verzichten können.
In einer Folge der noch immer unübertroffenen US-Zeichentrickserie „Die Simpsons“ begehrt die besorgte Mutter Marge gegen den Produzenten der ultrabrutalen TV-Serie „Itchy & Scratchy“ auf, deren Konsum ihre ohnehin schwer erziehbare Brut noch weiter verrohen lässt. Mit Erfolg: Die Serie wird nach massiven Elternprotesten aus dem Programm genommen. Es folgt eine wunderschöne, dreißigsekündige Sequenz, in welcher alle Kinder der Simpsons-Stadt Springfield die Fernsehsessel verlassen und, unterlegt mit klassischer Musik, an einem strahlenden Frühlingstag das Spiel in der freien Natur wieder entdecken.
Schade: Nur dreißig Sekunden dauert der mediale Frieden.
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