eject: HARALD KELLER über wichtig wirkende Alukoffer
Auf Reisen mit dem VR 710
Der Beruf des Fernsehkritikers ist wenig ertragreich, hat aber einige Vorzüge. Man muss nur selten außer Haus, kann wegknipsen, was nicht gefällt, und der Videorekorder ist von der Steuer absetzbar. Allerdings darf das fragliche Gerät ausschließlich beruflich genutzt werden. Deswegen muss der Freiberufler mindestens zwei Apparate halten: Je einen für die streng zu trennenden privaten und beruflichen Belange.
Unsere Testperson bringt es mittlerweile auf dreieinhalb Rekorder. (Einer verweigert die Aufnahme und gilt deswegen als halbe Portion.) Der jüngste von ihnen – nennen wir ihn VR 710 – wurde weniger nach seiner technischen Ausstattung als nach den Außenmaßen ausgewählt. Er passt nämlich exakt in einen dieser wichtig wirkenden Alukoffer, wie sie vor ein paar Jahren Woolworth billig feilbot. Darin stoßsicher verwahrt, begleitet VR 710 sein Herrchen gelegentlich auf dessen Reisen, um etwas von der Welt zu sehen.
Denn, man darf das mal so frank sagen, das deutsche Fernsehen ist in vielem hinterher und enthält seinem Publikum manch Gutes vor. Man wird es gewahr, wenn man beispielsweise in den großräumig verkabelten Beneluxländern Aufenthalt nimmt. Ein Eldorado für Schaulustige: britisches, belgisches, spanisches Fernsehen, italienische, französische, sogar chinesische Sender. Und natürlich die niederländischen, die den Vorzug haben, dass fremdländische Produktionen nicht synchronisiert, sondern untertitelt werden. Was etwa bei Sitcoms erhebliche Qualitätsunterschiede zutage fördern kann.
So erhält man Zugang zu hochkarätigen Produktionen, für die sich daheim kein Sender finden mochte. Die Sitcoms „Sex in the City“ und „Malcom in the Middle“ beispielsweise waren bei uns nur auf Festivals zu sehen. Und natürlich gibt es neue Folgen der „Sopranos“, die vom ZDF schmählich abgewürgt wurden, obwohl doch der Programmgestalter schon im ersten Semester lernt, dass mitunter nur eine Sendeplatzveränderung nötig ist, um einer Serie zu Erfolg zu verhelfen. Vor allem braucht es ein wenig Geduld und manchmal einen zweiten Anlauf, wie unter anderem Vox mit „Ally McBeal“ bewies. Aber wenn aus ZDF-Etagen verlautet, dass es seit „Dallas“ und dem „Denver-Clan“ keine attraktive Serie aus US-amerikanischer Produktion mehr gegeben habe, dann kann man ob derartiger Ignoranz ohnehin nur mitleidig mit den Achseln zucken. Und regelmäßige Trips in die Niederlande empfehlen. An manchen Tagen ist das dortige Angebot so gut, dass dem emsig aufzeichnenden VR 710 ganz heiß wird. Deshalb bekommt er vielleicht demnächst ein – steuerlich leider nicht absetzbares – Brüderchen.
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