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ejectARNO FRANK über einen verglühenden „Stern“

In der publizistischen Mitte klafft ein schwarzes Loch, aber das macht nix

Ich war ein Kind noch, und „Kinder haben Sternchen gern, denn Sternchen ist das Kind vom Stern“. So stand’s zumindest auf jener Seite, mit der der Stern seine jugendliche Kundschaft anfixte. Henri Nannens Wort von der „Wundertüte“, für den Zehnjährigen war es Realität. Und Liebe.

Also verschlang ich die Cartoons von Tetsche, las Stephen Kings vorabgedruckten Roman „Friedhof der Kuscheltiere“, studierte die Gesichter von Frauen, die „abgetrieben hatten“ (was immer das sein mochte), freute mich über Hitlers Tagebücher und besorgte mir Schnupftabak, weil ich durch den Stern über Helmut Schmidts lustiges Laster informiert wurde. Klassische Prägung also mit emotionaler Bindung, von der, mit den Jahren abgeschliffen, nur noch eine einzige Emotion übrig geblieben ist: Liebeskummer.

Zunächst waren es Kleinigkeiten, eigentlich nicht der Rede wert. Etwa die Reportage über einen Jungen, der in einer Tempo-30-Zone zum Krüppel gefahren wurde – unmittelbar vor dem großen Stern-Auto-Special. Oder dieses selbstbewusst-mollige Model auf dem Cover („Neuer Spaß am Dicksein“ oder so), das von einer Lätta-Anzeige auf der Rückseite konterkariert wurde („Haben Sie sich entschieden, niemals dick zu werden?“). Der Eindruck, verarscht zu werden, wurde nicht dadurch gelindert, das dies nach allen Regeln der Kunst geschah. Auch ein Besuch beim damaligen Chefredakteur Michael Jürgs und dessen haarendem Bobtail konnte die Zweifel nicht ausräumen, der Stern verrate fortwährend und vor allem sich selbst. Jürgs: „Wenn beim Spiegel die Auflage runtergeht, haben die auch Titten auf dem Titel“.

Einst verkaufte der Stern fast zwei Millionen Exemplare. Heute ist es – nach Aufbietung avantgardistischer Rechenkünste – nur noch eine knappe Million, knapp hinter dem Spiegel. Da fürchteten sich die Stern-Macher stets vor Tempo (Jugend!), Bunte (People!), Focus (Information!) und Max (Bilder des Jahres!) – während dreist sich der Spiegel heranpirschte und inzwischen den besseren Stern produziert. Zuletzt ging Thomas Osterkorns Versuch fürchterlich in die Hose, mal wieder mit investigativem Journalismus zu punkten: Die angebliche CSU-Spendenaffäre, schluffig recherchiert und schludrig redigiert, erwies sich als kurzlebiges Skandälchen. Fiebrige Aufregung aber, die sich sekundenschnell in heiße Luft auflöst, ist eigentlich das angestammte Terrain von Max.

Nun kopiert der Stern also schon die publizistische Methode seines dümmsten Epigonen. Ob dieser hilflose Quatsch den Segen bringt? Könnte sein. Demnach würde er unwichtiger werden, der Stern, bis er nur mehr Sternchen ist. Dann naht Rettung, denn: „Kinder haben Sternchen gern, denn Sternchen war einmal der Stern“.

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