einwurf: Solidarität, die keine ist
Warum die Behauptung der eigenen Güte oft betrügerisch ist
Solidarität ist freiwillige, tatkräftige Unterstützung dringender Bedürfnisse anderer. Sind wir solidarisch, wenn wir einen Aufruf unterschreiben, oder müssen wir dabei auch tätig werden?
Liegt eine politische Forderung an die Regierenden vor, entfaltet eine Unterschrift ihre Solidarität durch Erhöhung der Zahl der Fordernden. Wird dagegen eine Tat oder Sachleistung gefordert, sinkt die Unterschrift zur reinen Meinungsäußerung ab, weil vom Unterzeichner selbst keine Leistung erbracht wird. Der Unterzeichnende will sich in gutem Licht sehen, scheut aber eigenes Engagement. Solidarität wird zur Leerformel, dient eigener missbräuchlicher Werbung. Ähnliche Vorspiegelungen von Solidarität finden statt, wenn beispielsweise die Ukraine dringenden Bedarf an Waffen meldet, ihr aber 5.000 Helme geliefert werden, um Solidarität zu zeigen. Solche „Solidarität“ soll der Propaganda der Unterzeichnenden dienen, Hilfe ist es nicht.
Und so wie im Kleinen Solidarität nur vorgetäuscht wird, so funktioniert es auch im Großen:Sind wir, die Staaten des globalen Nordens, solidarisch mit dem globalen Süden? Jahrhundertelang haben wir den Süden kolonisiert und ausgebeutet, dann machten sich diese Länder sukzessive selbständig. Die Erinnerung an die Ausbeutung wurde nicht vergessen, und gegenüber der EU erhielten die ehemaligen Kolonien im Handelsverkehr Vorteile: Sie konnten ihre Märkte mit Zöllen schützen, die EU hingegen durfte keine Steuern auf Einfuhren erheben. Das trug Früchte, bis bis die EU meinte, es sei genug der Förderung, die in Wahrheit nur ein schwacher Ausgleich für zuvor ertragene Ausbeutung war. Seit 2002 entwickelte die EU die EPAs, neuartige Handelsverträge zwischen der EU und Ex-Kolonien, die gleichwertige steuerliche Behandlung im Warenverkehr vorschreiben. Staaten, die nicht unterzeichnen wollten, wurden durch Streichung der vormals eingeräumten Handelsvorteile gefügig gemacht, und das Wort von „mit der Pistole auf der Brust haben wir unterzeichnet“ machte die Runde, was die vermeintlich solidarischen EU-Staaten nicht wirklich störte.
Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte: „Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein.“ Unsere imperiale Lebensweise lässt die Annahme, wir seien mit dem globalen Süden solidarisch, keineswegs zu. Ralf Liebers
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