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eine supermarkt-bekanntschaft

von stefan kuzmany

Penny Markt, kurz vor acht, am Kühlregal. Der Mann war dick, sehr dick. Er hatte langes, fettiges Haar, trug eine Jeans und ein T-Shirt, die schon lange keine Waschmaschine von innen gesehen hatten. Vielleicht dreißig Jahre alt, schwer zu schätzen. Und er schwitzte, kein Wunder bei diesem Wetter. Und er sprach: „Was wollten Sie eigentlich hier, was wollten Sie eigentlich hier? Habe mich in der Etage geirrt. Gutes Brot macht Wangen rot, das hat Mutter schon immer gesagt.“ Zuerst dachte ich, er spräche mit mir, aber ich hatte mich natürlich geirrt. Er sprach mit niemandem. Er sprach nur.

Eine irritierte Mutter zerrte ihr kleines Kind weg von den Milchprodukten. Wer weiß, was dieser seltsame Kerl, der so seltsam redete, sonst noch alles Seltsames anstellen könnte. Jetzt furzte er. Zwei Teenager, den Einkaufswagen voll beladen mit Bierdosen, kicherten. Der Mann nahm einen Jogurt in die Hand, betrachtete ihn skeptisch, stellte ihn zurück, griff nach Butter, legte sie zurück, unablässig weiterredend: „Ist ja nicht so, dass wir es nicht schon gewusst hätten. Hat ja jeder gesagt. Am Ende wissen es alle besser. Wie war das gleich? Na gut, na gut. Ist ja gut.“

An der Kasse dann ging er, immer noch redend, vorbei: Er hatte sich wohl nicht entscheiden können, was er kaufen wollte.

Ich traf ihn an der Bushaltestelle wieder. „Sagt die Nachbarin: Was fällt Ihnen ein, ist doch viel zu laut. Tut mir Leid, tut mir Leid, machen Sie eben das Fenster zu. Ist doch nicht jeden Tag so.“ Erneut wurde herzhaft gefurzt. Die Wartenden tauschten viel sagende Blicke aus: ein Irrer. Als der Bus kam, stieg er als Einziger hinten ein. Alle anderen drängten sich durch die vordere Tür. Er setzte sich mir gegenüber.

Der Bus fuhr an. „Mir doch egal. Mir doch völlig egal.“ Irgendetwas schien ihn mächtig aufzuregen. „Mir doch vollkommen scheißegal! Ja leck mich doch am Arsch!“ Jetzt sprang er auf, ich machte mir schon Sorgen, er könnte in voller Fahrt aus dem Gleichgewicht geraten und auf mich stürzen. Aber er furzte nur wieder und setzte sich dann ganz friedlich auf seinen Platz.

Glogauer Straße musste ich raus, er stieg auch aus. Offenbar wohnte er in meiner Gegend, fast nebeneinander gingen wir die Straße hinab. Er startete wieder ein Selbstgespräch: „Wir wollen das nicht so, aber wir können nicht anders. Hehe. Halt, halt!“

Im Treppenhaus war er immer noch da. Bisher hatte ich mich nicht besonders gewundert über die Anwesenheit dieses seltsamen Menschen, aber jetzt wurde mir doch etwas mulmig. Ich hatte ihn hier doch noch nie gesehen, und jetzt stieg er hinter mir die Treppe hinauf, blieb auch noch vor meiner Wohnung stehen. Nervös suchte ich meinen Wohnungsschlüssel, fand ihn nicht, suchte hektisch weiter. Der Mann ging nicht weg.

„Was wollen Sie hier? Sie wohnen hier doch nicht?“, fragte ich, immer noch suchend. „Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen? Hätten Sie vielleicht gerne etwas zu essen?“ Der Mann blickte mich streng an. „Haben Sie nicht etwas vergessen?“, fragte er. Etwas vergessen? Ich wollte dieses Gespräch beenden: „Ich denke, nein, ich habe nichts vergessen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“ „Nicht so schnell. Ihren Fahrschein, bitte.“ Verdammt. Sie hatten mich mal wieder erwischt.

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