dvdesk: Leichen purzeln ins Bild

In Kasachstan – kein Brennpunkt des Weltkinos – werden vermutlich auch heitere Filme gedreht. „Steppenwolf“ von Adilkhan Yerzhanov (Buch und Regie) ist keiner von ihnen. Gleich zu Beginn setzt es ein Hermann-Hesse-Zitat, „Steppenwolf“ ist aber keine Verfilmung des Buchs, es geht nur um eine Anlehnung an den Titel und die Titelfigur. „Im Auftrag des Ministeriums für Kultur und Sport“ steht im sehr kurzen Geldgeber-Vorspann, auch das „Nationale Zentrum zur Förderung des Kinos“ hat wacker unterstützt. Dem Tourismusbüro des Landes jedoch sitzt der Schreck ganz sicher tief in den Knochen.
Weit ist die Steppe, weit und öde und kahl, in der Ferne auch Seen, nicht weniger öde, auch Berge, nicht weniger kahl, mal zieht Nebel auf, und in diesem Nebel, am Tag wie in der Nacht, in dieser gottverlassenen Steppe und Endzeitwelt, vor Seen und Bergen, ist der Mensch dem Menschen ein Wolf. Die Polizei hat sich inmitten der Steppe in einer Art Fort gegen das Außen verschanzt. Dann ein Überfall durch eine Horde von Gangstern. Vielleicht haben sich auch die Gangster verschanzt und es ist die Polizei, die sie überfällt. Es ist egal, denn hier kämpft nicht Gut gegen Böse, es sind allesamt Finstermänner, Waffe im Anschlag, die mehr brüten als sprechen, aber ausgiebig Blutbäder nehmen.
Der Held (Berik Aytzhanov), nur zum Beispiel, ist ein Folterexperte und Verhörspezialist. Gleich zu Beginn säbelt er Finger ab, mit einem Metallventilator. Wäre jede Leiche, die er produziert, wie einst bei Karl May eine Kerbe am Lauf des Gewehrs, dann würde der Platz weit vor Ende des Films knapp. Dieser Held hat einen Namen, Brajyuk, auch eine Familienvorgeschichte zieht er sich wie manch andere Wunde noch zu. Manchmal tanzt er ein bisschen. Oder lacht ohne Anlass. Er tötet und tötet und niemandes Leben, das eigene ganz zuletzt, ist ihm einen Pfifferling wert.
Jedoch ist da Tamara (Anna Starchenko). Schwer lädiert, kann kaum mit der Sprache heraus, halb- oder dreiviertelverrückt. Ihr Sohn ist verschwunden, gerade saß er noch auf der Schaukel, nun ist er weg. Als Spielzeug und Fetischobjekt blieb einzig der Zauberwürfel zurück. In ihrem Auftrag und gemeinsam mit ihr macht sich Brajyuk nun auf die Suche nach dem Kind. Weiß der Teufel, was ihn dabei motiviert. Kaum das versprochene Geld. Die Moral ganz sicher nicht. Auch an der Frau oder an Sex mit ihr scheint er nicht interessiert. Am besten begreift man diese kasachische Steppe als Hölle, in der es keine Motive gibt für das, was Menschen in ihr tun oder lassen.
Regisseur Adilkhan Yerzhanov hat offenkundig viele Western gesehen. Auf John Fords „The Searchers“ spielt er eindeutig an, ein großer Teil des Motivarsenals ist aus Filmen von Sergio Leone und noch härterem, postklassischem Spaghetti-Western entlehnt. Immer wieder wird durch Türen und Fenster nach draußen geblickt, vom Dunkel ins Licht, ohne dass das Blicke ins Offene wären. In aller Ruhe fährt die Kamera regelmäßig zur Seite. Aber nicht zur Exploration von unerwarteten Dingen, die kasachische Steppe bleibt so öde und leer, wie sie es war, immerhin purzelt gelegentlich eine Leiche ins Bild.
Schon ein bisschen viel des Bösen das alles. Auch kann sich der Film nicht wirklich entscheiden, ob er reine Allegorie sein oder doch ein Stück Wirklichkeit einfangen will. Aber so oder so gewinnt er in seiner Unnachgiebigkeit, in der Überzeugtheit vom eigenen Tun, nach und nach doch einige Wucht. Auch sind die ewige Steppe und die baumlose Öde, und das Töten darin, und Feuer und Schüsse und Funkenflug in der Nacht im großen Finale recht eindrucksvoll anzusehen. Und ganz und gar trostlos endet es immerhin nicht. Ekkehard Knörer
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