piwik no script img

dvdeskKahle Äste und Zweige

The Tale of Zatoichi (Japan 1962, Regie: Kenji Misumi)

Still ruht das Wasser, ein Blinder und ein Sehender sitzen am Ufer und angeln. Der Blinde merkt vor dem andern, dass an dessen Angel etwas zappelt. Er spürt auch, dass mit der Gesundheit des anderen etwas nicht stimmt. Die beiden sind Zatoichi (Shintaro Katsu) und Hirate (Shigeru Amachi). Sie werden zu Freunden unter Umständen, die alles andere als gewöhnliche sind. Hirate ist als Schwertkämpfer, als Ronin ohne feste Anstellung, unterwegs, wir schreiben die Endphase der Edo-Zeit, die 1830er Jahre, alles spielt in einer liebevoll ausgemalten Japan-Fantasie.

Zatoichi macht äußerlich wenig her, pummelig ist er, die Kleidung ist unelegant, er gibt sich (und ist auch) bescheiden. Seiner Ausbildung nach Masseur, verdient er sein Geld auch, wie man eingangs sieht, indem er Würfelspieler, die ihn betrügen wollen, selber betrügt. Er ist aber sehr viel mehr, als er scheint, nämlich ein großer, von Kennern wie Hirate bewunderter Schwertkämpfer, der Blindheit zum Trotz. Erfunden hat diesen Zatoichi der Romanautor Kan Shimozawa, bei ihm ist sie zunächst jedoch nur eine Nebenfigur. So richtig kommt Zatoichi, der blinde Schwertkämpfer, aber mit diesem Film erst zur Welt und wird rasch zu einer der bis heute populärsten Schöpfungen der japanischen Kultur. Auf den ersten folgen Schlag auf Schlag weitere Filme (das gilt auch für diese neue DVD-Edition), bald auch in Farbe, Zatoichi wird zum wandernden Kämpfer, alle große Erfolge, 25 sind es bis 1973, daran schließt sich eine ebenfalls sehr erfolgreiche, hundert Folgen umfassende Fernsehserie mit demselben Hauptdarsteller Shintaro Katsu unmittelbar an. Ein letzter Film, unter Katsus Regie, folgt nach glücklosen Jahren 1989, damit ist der offizielle Kanon abgeschlossen.

An Remakes fehlt es nicht, darunter die Post-Vietnam-Hollywood-Variante „Blinde Wut“ mit Rutger Hauer; international und im Arthouse-Bereich richtig berühmt wird Takeshi Kitanos Film, Titel schlicht: Zatoichi, mit dem er in Venedig den Silbernen Löwen gewinnt. Es bleibt die immerselbe Figur in immer ähnlichen Geschichten, es kommt, fast wie im Marvel-Universe, zu Begegnungen mit Figuren aus anderen Fantasiewelten. Der 20. Film hält, was der englische Titel verspricht: „Zatoichi Meets Yojimbo“ – Auftritt von Toshiro Mifune als Samurai-Figur, die in Akira Kurosawas Film „Yojimbo“ eingeführt wurde. In späteren Filmen spielen Schwertkämpfe eine größere Rolle, im Vergleich ist dieser erste geradezu meditativ. Die Angelszene ist dafür typisch, auch sonst spielt der Film viel in der Natur, oft bestimmen kahle Äste, Sträucher, Bäume den Bildvordergrund. Gefilmt ist alles mit ruhiger Hand und sehr schönem Sinn für Kompositionen, die die Figuren nicht ins Zentrum stellen, sondern in Zusammenhängen verorten. Regisseur Kenji Misumi kam aus der klassischen Studiotradition, hat nur diesen einen Film gedreht und wurde dann als Regisseur von Samurai-Manga-Filmen wie „Lone Wolf and Cub“ berühmt.

Zum Kampf der Yakuza-Gangs kommt es erst am Ende, der eigentliche Höhepunkt ist das finale Duell zwischen Hirate und Zatoichi auf einer Brücke. Vom Schnittwirbel des Hongkong-Kinos etwa ist die Inszenierung auch hier Welten entfernt. Von unten her hält die Kamera auf die ringenden Körper, fast denkt man, sie halten sich Schwert an Schwert in liebevoller Umarmung. Und so ist es ja auch. Der eine, todkrank, muss ohnehin sterben und überantwortet sich in einem Akt des Vertrauens dem blinden Mann, der Gegner und Freund ist.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen