piwik no script img

dvdeskAuf dem Operationstisch

„In den besten Händen“ (F 2021, Regie: Catherine Corsini). Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich.

Die ganze französische Gesellschaft soll auf den Tisch, möglichst viel davon jedenfalls, in ein gemeinsames Bild, konzentriert auf wenige Räume und Stunden. Dieses Bild ist nicht unbedingt friedlich, laut geht es zu, der Ort ist, passend für die Sozialdiagnose, die Notaufnahme eines Krankenhauses, und zwar in Paris. Der Film spielt noch in der Zeit vor Corona, dass alles immer noch schlimmer werden könnte, und würde, ist in Catherine Corsinis Gesellschaftsporträt noch nicht einmal eingepreist.

Schlimm aber ist alles sehr wohl, hier schon, jetzt schon, die meisten sind am Rande des Nervenzusammenbruchs. Es ist die Zeit, in der die links-rechts durchmischten Gelbwestenproteste toben, Widerstand gegen Macron und eine, seine Politik, die gegen die wachsende Ungleichheit nichts unternimmt. Corsini, eine Veteranin des französischen Kinos (ihr erster Film, „Poker“, kam 1987 ins Kino), nähert sich der Gesellschaft über eine Protagonistin, die ihr selbst sozial durchaus ähnelt.

Raphaëlle, genannt Raf, ist Comiczeichnerin, nicht mehr jung, von Valeria Bruni Tedeschi gespielt. Die Beziehung zu ihrer Partnerin, der Comic-Verlegerin Julie (Marina Foïs), liegt noch nicht ganz in Trümmern, aber bei einer der vielen Auseinandersetzungen, die sie haben, stürzt Raf auf der Straße und zieht sich am rechten Ellenbogen einen Trümmerbruch zu. „La fracture“ heißt der Film im französischen Original, es geht um Brüche im konkreten und im übertragenen Sinn.

Eigentlich sind die Kran­ken­pfle­ge­r*in­nen in der Notaufnahme im Streik. Von drei gesetzlich erlaubten Schichten pro Woche schiebt Kim (Aïssatou Diallo Sagna) gerade die sechste. Sonst täte es niemand, Kim streichelt Hände von Sterbenden, rettet Leben, bewahrt die Ruhe, gedankt wird es ihr nicht. Kein Wunder, dass sie, wie sie Raf erklärt, kündigen will. Als von oben die Ansage kommt, dass das Krankenhauspersonal die Namen der als Gelbwesten Identifizierbaren notieren soll, der Strafverfolgung wegen, verweigert nicht nur Kim den Gehorsam. Manche Ärzte dagegen haben damit kein großes Problem. Wohin immer man sieht: Risse, Konfrontationen.

Einer, der mit den Gelbwesten protestiert hat, ist Yann Caron (Pio Marmaï), in Corsinis Wimmelbild Protagonist Nummer drei. Er ist Lkw-Fahrer und muss unbedingt in dieser Nacht noch eine Tour machen, sonst verliert er seinen Job. Mehrfach begegnet er in den Räumen der Notaufnahme Raf, die freilich wegen recht wahllos eingeworfener Schmerzmedikamente nahe am Delirium ist. Sie streiten sich, aber als sie aus dem Bett fällt, hilft er ihr auch.

Caron ist auf Krawall gebürstet, aber hilfsbereit, wenn es darauf ankommt, nicht so dumm, Le Pen zu wählen, wie er versichert. Er ist ein Opfer der bei der Demo brutal eingreifenden Polizei: Szenen, für die der Film die Notaufnahme mehrfach verlässt. Wobei am Ende auch ein Polizist noch erklären darf, wie sehr er bei der Demo überfordert war und verheizt worden ist.

Und so bekommen alle ihre fünf bis zehn Minuten, ihre Perspektive, ihr Recht und ihr Schicksal – angesichts der Hektik allerdings meist nur als Klischee oder Karikatur ihrer selbst. Die privaten Beziehungswehwehchen von Raf und Julie sind dann aber doch etwas gleicher als die existenziellen Probleme der anderen.

Corsini kann (oder will) die sehr bürgerliche Perspektive nicht verleugnen, aus der sie auf die Gesellschaft blickt. Und so ist das Bild, das entsteht, doch eher ein eingebildetes Ganzes, in dem sich am Ende nur Teile wiedererkennen. Gut gemeint, sicherlich. Gut gespielt, sowieso. Aber zuletzt doch eher das Symptom einer recht verzweifelten Lage, als die Diagnose, für die es sich hält. Ekkehard Knörer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen