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dvdeskArbeit am Mythos

Breit ist die Leinwand, sehr breit, cinemascopisch, unendliche Landschaft im US-Westen, mal die Berge der Sierra Nevada und mal karge Prärie, mal Kälte und Schnee, manchmal sind Menschen zu sehen und manchmal auch nicht. Das alles untermalt von Phil Mossmans Soundtrack, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Wer aber reitet so spät durch Nacht und Wind, von rechts nach links durch das Bild? Es ist Isaac LeMay, der Vater, dem von den Cheyenne prophezeit worden ist, dass sein eigener Nachkomme ihn umbringen wird. Das klingt recht mythisch und erinnert an Cronos, der seine Kinder, um den geweissagten Umsturz zu verhindern, kaum waren sie geboren, verschlang. Die Gelegenheit hat Isaac LeMay leider verpasst. Er ist auch kein Cronos, sondern ein Killer mit Hang zu Prostituierten, so dass in seinem Fall die Kinder über den gesamten Wilden Westen der USA verstreut sind. Von seinem Suchen und Finden und Töten erzählt nun „The Last Son“, mit Schrifttafeln in Kapitel getrennt, wobei in einer Kapitelüberschrift allerdings auch ein Zitronendrops auftauchen kann.

Über die Figur im Zentrum des Films erfährt man sehr wenig: Da ist der Fluch, da ist der Wille zum Töten, da ist eine Vergangenheit, die nur in Schemen erkennbar wird. Ähnliches gilt für die Figuren um ihn herum, etwa den Militär Solomon (Thomas Jane), der LeMay zur Strecke zu bringen versucht. Sam Worthington – demnächst wieder in blauer Pracht in „Avatar“ zu bewundern – gibt diesen Outlaw Isaac LeMay als zugewucherten Waldschrat, viel Bart, viel Gestrüpp auf dem Kopf, kaum ein Gesicht. Der räudige Pelz, in den er ständig gehüllt ist, rückt ihn ein gutes Stück Richtung Tier. Seine Stimme, wenn er denn einmal spricht, ist ohne Gewicht, rau und zerkratzt. Ein Tapsen, Lauern, und Schleichen, die Welt als Verdacht; da pfeift einer aus dem letzten Loch, aber er tötet und tötet. Einen Sohn hat er mit der Prostituierten Anna (Heather Graham), den bringt er schnell um die Ecke. Nur leider ist da ein Zwilling namens Cal, Bankräuber, Killer ohne Gewissen, einer, der die Tiere höher schätzt als die Menschen, der heftet sich LeMay an die Fersen. Für diese Figur hat der Regisseur, der Indie-Filmemacher Tim Sutton, Colson Baker gecastet, der als Rapper unter dem Namen Machine Gun Kelly bekannt ist. Das passt wie die Faust aufs Auge, beziehungsweise zeugt von recht eigenwilligem Humor: Machine Gun Kelly mäht nämlich mit einem dem US-Militär entwendeten Maschinengewehr wiederholt nieder, was ihm im Weg steht. Was zudem eine Referenz an den Italowestern-Klassiker „Django“ ist.

Verzicht auf Psychologie

Anders gesagt: Tim Sutton hat sich Gedanken gemacht, wie man heute überhaupt noch einen Western angehen kann. Er verzichtet vollkommen auf Figurenpsychologie, regelt stattdessen die mythischen Züge des Genres, ohne mit der Wimper zu zucken, nach oben. Er zieht das auch durch, nicht ohne Ernst, nicht ohne Blut, in Breitleinwandbildern von einiger Wucht und vor musikalischer Drohkulisse. Zugleich gibt er Signale, sei es der Drops, sei es die Verbindung von Machine Gun Kelly und Maschinengewehr, die diesen Ernst und das Blut und den Willen zum Mythos ganz sicher nicht ironisieren. Denn mit Augenzwinkern hat das gar nichts zu tun, obwohl all das doch auf das stark Konzepthafte eines solchen Erzählens verweist.

Die Kritik hat an dem Spielfilm Spannung, Psychologie und zusammenhängende Handlung vermisst. Dabei ist es gerade die Reduktion des Genres auf seine (absurden) Essenzen, die Sutton hier unternimmt. Spätest-Western? Post-Western? Meta-Western? Egal. Hauptsache: Arbeit am Mythos. Ekkehard Knörer

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